Film & Fernsehen

Fernsehsender kürzen Budgets von Kinokoproduktionen

(29. Juli 2009) Im öffentlichen Jubel von Cannes fehlte Bettina Reitz. So ist es meist, wenn Erfolge wie der Gewinn der Goldenen Palme durch Michael Hanekes „Das weiße Band“ gefeiert werden. Dabei wäre der Film ohne sie kaum entstanden. Die Fernsehchefin des Bayerischen Rundfunks half, als der Berliner Produzent Stefan Arndt wenige Tage vor dem Dreh in der brandenburgischen Prignitz vor einer Finanzierungslücke stand. Sie bettelte bei Intendant Thomas Gruber, der Mittel aus seinem Etat locker machte
Ohne das Gespür von Reitz für aufregende Stoffe wäre auch Florian Henckel von Donnersmarcks Oscar-Gewinner „Das Leben der anderen“ nicht entstanden. Künftig muss Reitz kürzer treten. Grubers Topf ist seit mehr als einem Jahr für Kinofilme tabu. Außerdem ist ihr Etat für Kinokoproduktionen um sechs Mio. Euro gekürzt worden Wie hoch die Einsparungen 2010 sein müssen, weiß Bettina Reitz noch nicht. „Es wird auf jeden Fall sehr, sehr schwierig.“

Die fetten Jahre sind nicht nur beim Bayerischen Rundfunk vorbei. Beim WDR und NDR wissen die Redakteure nicht, wie viel sie in den kommenden Jahren zur Verfügung haben. Die Unterstützung von Kinodokumentarfilmen und internationaler Koproduktionen steht bei einigen Sendern der ARD vor dem Aus. Nur der SWR gibt in diesem Jahr 900.000 Euro mehr als in den Vorjahren.
Die Kürzungen treffen das deutsche Kino ins Herz. Die öffentlich-rechtlichen und privaten Sender sind bei mehr als 90% der deutschen Filme kreativer und wirtschaftlicher Partner. Mit rückläufiger Tendenz. Steuerten sie 2007 14% zu den Budgets bei, waren es 2008 noch 12%.

Offiziell wird der Rückzug der privaten Sender mit der Krise begründet. Weil die Werbeeinnahmen weg gebrochen sind, hat RTL vor kurzem 20 Redakteure für fiktionale Programme entlassen. Der Kölner Sender hat sich allerdings schon seit Jahren weitgehend von der Kinoproduktion verabschiedet und beteiligt sich nur in Ausnahmefällen wie Mario Barths „Männersache“. Die Pro7Sat1 Media AG will dagegen ihr monetäres Engagement für den Spielfilm auf dem Niveau der Vorjahre halten.

Die öffentlich-rechtlichen Sender verweisen auf Löcher von einigen Hundert Mio. Euro in ihren Haushalten. Für das ZDF trifft das zumindest als Teilentschuldigung zu. In Mainz dürften jetzt vor allem die „Amphibienfilmen“ auf dem Prüfstand stehen, bei denen für Budgets um 15 Mio. Euro parallel zum Kinofilm ein Zweiteiler gedreht wurde. Mit mäßigem Erfolg für das Zweite. „John Rabe“ konnte vier Deutsche Filmpreise abräumen. An der Kinokasse flopte er ebenso wie „Anonyma“.
Die ARD traf mit den Amphibien „Der Untergang“, dem „Baader Meinhof Komplex“ und den „Buddenbrooks“ den Geschmack der Zuschauer besser. Solche Titel schmücken das Programm. Auch für Highlights wie „Good Bye, Lenin“ oder „Alles auf Zucker“ findet sich schnell ein herausragender Platz.

Was dem Ersten fehlt, ist ein fester Sendeplatz für Spielfilme. Seit zwei Jahren suchen die Intendanten eine Lücke im Programmschema. Bewegung zeichnet sich nicht ab. Mit verheerenden Folgen: Die ARD kann ihre Programmschätze nicht auswerten, die sie in der Regel in fünf Jahren unbegrenzt ausstrahlen darf. Christian Petzolds „Innere Sicherheit“ zierte ebenso wie Andreas Dresens „Nachtgestalten“ nur einmal das Hauptprogramm. Hans Christians Schmids „Requiem" und Sven Taddickens "Emmas Glück" laufen in diesem Sommer zu nachtschlafender Zeit. Andere Filme wie „Erbsen auf ½ 6“ werden nur in den Dritten gesendet, unter denen der Programmaustausch ungenügend funktioniert. Jeder Sender hat seine eigene Spielfilmredaktion, wo oft der Überblick über das Angebot oder schlicht die Sendeplätze fehlen.

Dabei macht die Konkurrenz von ZDF, Pro 7 und Sat1 vor, wie Filme sinnvoll eingesetzt werden. Das Zweite hat am Montag seine Sendeschiene für Fiktionales, wo leider auch mal ein Highlight wie die Walser-Verfilmung „Ein fliehendes Pferd“ als „Fernsehfilm der Woche“ versteckt wird. Einen Pferdefuß gibt es freilich auch. Die Filme dürfen nicht länger als 90 Minuten sein.
Im Schnitt strahlen die Mainzer ihre Kinokoproduktionen viermal aus. Diese Marge ist auch das Ziel von Stefan Gärtner, der mit Seven Pictures für Pro7 und Sat1 die Projekte auswählt. Er strebt zwei bis vier Mal Primetime an, was er durch lukrative Verbindungen mit Leander Haußmann, Til Schweiger und vor allem durch den unter Leo Kirch geschlossenen First-Look-Vertrag mit der Constantin schafft.

Mit der klaren Ausrichtung auf populäre Stoffe verfolgt Seven Pictures eine andere Programmphilosophie als ZDF und ARD. Tom Tykwer hätte „Das Parfüm“, das Sat1 herausragende Einschaltquoten bescherte, jedoch nie inszeniert, wenn seine ersten Schritte nicht vom WDR gefördert worden wären. Mit zunächst mäßigem Erfolg. Erst „Lola rennt“ lockte Millionen in die Kinos und vor den Bildschirm.
Ob Tykwer, Dresen, Petzold, Schmid, Dani Levy, Wolfgang Becker, Detlev Buck, Fatih Akin - eine Generation von deutschen Regisseuren konnte durch die Talenteförderung der öffentlich-rechtlichen Sender in den vergangenen 20 Jahren ihre Handschriften ausbilden. Die Liste der Filmemacher, die ihre ersten Filme im geschützten Rahmen des „Kleinen Fernsehspiels“ oder des „Debüt im Ersten“ drehten, ließe sich um Wolfgang Petersen oder Wim Wenders ergänzen und beliebig fortsetzen.

Die Zahl der Kinoproduktionen der ARD ist jedoch insgesamt so hoch, dass sie den durch den fehlenden Sendeplatz noch künstlich verknappten Bedarf der ARD bei weitem übersteigt. Außerdem scheint sich in den Köpfen von zu vielen Verantwortlichen in den Chefetagen festgesetzt zu haben, dass die selbst mit initierten Filme weder inhaltlich noch ästhetisch auf die vorhandenen Sendeplätze für fiktionale Programme passen. Doch der Zuschauer ist längst nicht so anspruchslos wie viele Verfechter der Verflachung meinen, wie zuletzt der Zuspruch für Bernd Böhlichs „Du bist nicht allein“ bewies.

Dieser Teil der deutschen Kinoproduktion, die sich für die soziale und mentale Realität interessiert, ist durch die Kürzungen der öffentlich-rechtlichen Sender ebenso wie der Nachwuchs bedroht. Die verheerenden Folgen für die deutsche Filmlandschaft sind schon jetzt zu spüren. Drehs werden verschoben. Seit Jahren entwickelte Bücher können nicht in Produktion gehen. Regisseure gehen zum Arbeitsamt, Produktionsfirmen in die Pleite. Keiner wird dann Michael Haneke folgen, der seinen ersten Film mit Unterstützung des SWF drehen konnte.


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