Die letzte Klappe: D. Heinze verurteilt – Kontrollsystem bei der ARD angeprangert

(ver.di FilmUnion-Newsletter 09/2012) Die ehemals mächtige TV-Produzentin Doris Heinze, die lange Zeit innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten beinahe nach Belieben schalten und walten konnte, wurde am 8.10.2012 in Hamburg wegen Bestechlichkeit, Untreue und Betrug zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten verurteilt. Das Strafmaß wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Eine Spurensuche: Doris Heinze kannte sich aus mit Verbrechen und Verbrechern. Die Arbeit von Polizisten und Staatsanwälten war ihr vertraut, Tatorte waren ihr Metier. Laut Thomas Schreiber, Leiter des NDR-Programmbereichs Fiktion & Unterhaltung, war sie „eine Visionärin, eine ganz exzellente Dramaturgin und Redakteurin“. Heinze wurde neben ihrer Tätigkeit als Produzentin von TV-Filmen der romantischen Art besonders für ihre Verdienste um die NDR-„Tatort“-Reihe geschätzt, als Spiritus Rector der Ermittler Charlotte Lindholm, Borowski & Jung und Cenk Batu, dem ersten „Tatort“-Kommissar mit Migrationshintergrund.

Letzteren hatte sie just in dem Moment entworfen, in dem die Debatte um Integration und Assimilation in Deutschland ihren Höhepunkt erreicht hatte. Sie habe das Gefühl, dass Deutschland für einen türkischen Ermittler bereit sei, hatte sie damals gesagt. Heinze konnte auch provozieren.

Doch menschlich sei sie schwierig gewesen, sagte Drehbuchautor Fred Breinersdorfer. Ein weiterer Filmschaffender äußerte sich zu Heinze, will aber nicht genannt werden. Er sagte: „Sie war rigoros, nachtragend, ehrenkäsig, und seilschaftsbewusst. Wer bei ihr durchgefallen war, bekam nicht nur beim Sender oder der Förderung Schwierigkeiten, sondern im gesamten System der Öffentlich-rechtlichen.“ Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung, der den Skandal um ihre Person im Sommer 2009 aufdeckte, beschrieb Heinze so: „Sie hatte viel Macht. Wer beim NDR im Filmbereich landen wollte, musste über sie gehen. Wenn sie den Daumen senkte, war jemand draußen. Sie saß in Jurys, sie hatte Einfluss, auch darauf, welche Filme ausgezeichnet wurden. An ihr vorbeizukommen war schwierig." Ein System aus Vetternwirtschaft, Einschüchterungen und willkürlichen Begünstigungen. Danach klingt es.
Seit dem 5.7.2012 mussten sich Doris Heinze, ihr Mann Claus Strobel und die ehemalige AllMedia-Produzentin Heike Richter-Karst wegen schwerer Bestechlichkeit, schwerer Untreue und Betrugs vor der Wirtschaftskammer des Hamburger Landgerichts verantworten. Bei Prozessbeginn wurden dem Trio 14 Straftaten zwischen 2003 und 2007 zur Last gelegt, fünf Anklagepunkte sind aus Gründen der Prozessbeschleunigung wieder fallen gelassen worden. Strobel wurde zu 180 Tagessätzen à 18 Euro und Richter-Karst zu 300 Tagessätze à sieben Euro verurteilt.
Als Produzentin einer ARD-Anstalt mit einem Jahresgehalt von 100.000 Euro durfte Heinze nur ein Drehbuch pro Jahr schreiben. Dafür stand ihr die Hälfte des sonst üblichen Honorars von 26.000 Euro zu. Ihr Mann durfte für die Redaktion seiner Frau keine Bücher verfassen. Das Ehepaar Heinze-Strobel hielt sich jedoch nicht an die Regelung, die ja gerade verhindern soll, dass Senderangestellte jemandem nach Belieben Jobs zuschustern. Sowohl Heinze als auch Strobel verfielen auf eine List: Jahrelang verfassten sie Drehbücher unter Pseudonym, die Heinze dann beim NDR einschleuste. Die Bücher von „Marie Funder“ und „Niklas Becker“ wurden anschließend von Heinze persönlich an die Produzentin Richter-Karst von der Münchner AllMedia Pictures GmbH transferiert und dort für die ARD produziert.
„Mein Verhalten war ein irre großer Fehler“, sagte Heinze vor Gericht. Sie habe ihre einflussreiche Position ausgenutzt, um Stoffe von sich und ihrem Mann unter Pseudonym bei dem Sender unterzubringen. Sie bedauere ihr Vorgehen, weil ihr viele Leute beim Sender vertraut hätten. „Ich hatte die ganze Zeit natürlich ein schlechtes Gewissen", sagte sie. Über die juristische Tragweite ihres Verhaltens sei sie sich nicht im Klaren gewesen, auch habe sie nicht den Eindruck gehabt, anderen zu schaden.

Das Ehepaar Heinze-Strobel liebte anscheinend ein Leben in Luxus. Beide bestreiten allerdings, dass Gier das Tatmotiv war. Im Prozess sagten sie, sie haben es getan, weil sie gerne schreiben. Dass Heinze sich allerdings sehr wohl über die juristische Tragweite ihres Verhaltens klar war, darf man der Tatsache entnehmen, dass sie große Energie darauf verwendete, ihre Machenschaften zu verschleiern. Als Heinzes Verstöße publik wurden, habe sie Richter-Karst gefragt, ob die jemanden kenne, der für das Pseudonym einspringen könne, sagte Richter-Karst im Prozess aus. Als der Mitangeklagten niemand einfiel, kam Heinze ihre ehemalige Agentin Inga Pudenz zu Hilfe. Allerdings bereute Pudenz ihren Hilfeversuch vor dem Hamburger Landgericht mittlerweile. Es sei töricht von ihr gewesen, dass sie gegenüber dem NDR zunächst behauptet habe, das Pseudonym „Marie Funder" sei ihres. Sie habe es nur getan, weil Heinze sie damals um diese Aussage gebeten habe.

Auch Heike Richter-Karst entwickelte im „System Heinze“ ein hohes Maß an krimineller Energie. So soll sie in ihrer Zeit als AllMedia-Geschäftsführerin unter dem Pseudonym „Markus Benz" eine Folge für die „Polizeiruf 110"-Reihe geschrieben haben. Das Drehbuch soll sie anschließend ihrer Firma untergeschoben haben, in ihrer Funktion als Firmenchefin konnte sie die Honoraranweisung selbst abzeichnen. Obwohl das Buch nie verfilmt wurde, soll Richter-Karst eine sechsstellige Summe für die „Polizeiruf 110"-Folge "Licht aus" kassiert haben. All das hat Richter-Karst vor Gericht gestanden.

Strobel, der als alias Niklas Becker fünf Drehbücher geschrieben haben will, benimmt sich vor Gericht entweder dumm oder dreist. Auf die Frage des Richters, ob er gewusst habe, was seine Frau beim NDR mache, behauptete er: „Ich wusste, dass sie Redakteurin ist. Ich wusste nicht, mit welchen Stoffen sie genau arbeitet. Um ehrlich zu sein, habe ich das so gar nicht verstanden.“ Dazu stottert und stammelt er, dass die Süddeutsche Zeitung sich fragte, „wie der auch nur einen einzigen geraden Satz zu Papier bringen konnte.“

Niemand im System der Öffentlich-rechtlichen, das aus ARD- und ZDF-Chefs, –Redakteuren, Fördergremienmitgliedern und Produktionsfirmen besteht, schien jemals Fragen zu stellen. Lieber schwiegen sie und ließen Leute wie Heinze jahrelang gewähren. Ein Kenner der Szene liefert das Motiv für dieses Vogel-Strauß-Verhalten: „Heinze konnte nur deswegen ungestört ihre Machtfülle ausnutzen und ausbauen, weil alle, die davon wussten, und mutmaßlich waren das viele, aus Angst, nie wieder arbeiten zu können, den Mund hielten.“

Der Schaden, der dem NDR entstanden ist, beläuft sich auf ca. 80.000 Euro. Der immaterielle Schaden jedoch, der den Karrieren von Filmschaffenden zugefügt wurde, die bei Heinze durchfielen, ist nicht wiedergutzumachen. Auch die Aufträge, die das Ehepaar Heinze-Strobel durch ihre unerlaubte Tätigkeit Drehbuchautoren wegnahmen, sind für immer verloren.
Der Verband deutscher Drehbuchautoren (VDD) kritisierte in einer Stellungnahme daher völlig zu Recht ein „System der unkontrollierten Machtfülle der leitenden Redakteure in der ARD". Dieses System habe eine ganze Branche - Autoren, Regisseure, Schauspieler, Produzenten - in die Abhängigkeit von Redakteuren gezwungen, die häufig willkürlich darüber entschieden, "wer was schreibt, wer inszeniert, wer spielt und wer produziert". Lutz Marmor, der NDR-Intendant, sagt zu diesem Vorwurf: „Hier von einem System zu sprechen macht es nicht besser. Bei uns muss besondere Sorgfalt herrschen beim Umgang mit Gebührengeld, das versuchen wir umzusetzen. Wir haben mehr Kontrollen als freie Produktionsfirmen, aber man sieht: Keine Kontrolle kann so gut sein, dass sie nicht umgangen werden kann." Das soll es hoffentlich nicht gewesen sein?

Das relativ milde Urteil kam nun zustande, weil das Gericht im Rahmen der Strafzumessung u.a. zugunsten der Angeklagten wertete, dass sie bereits Schadenswiedergutmachung geleistet haben. Auch sah die Kammer es als erwiesen an, dass es den Angeklagten nicht darum gegangen war, sich ohne (angemessene) Gegenleistung aus öffentlichen Mitteln finanzielle Vorteile zu verschaffen. Vielmehr ging das Gericht davon aus, dass für die erhaltenen finanziellen Vorteile im Wesentlichen entsprechend qualitativ hochwertige Leistungen erbracht wurden.

Christoph Brandl


Ausklappen/Einklappen