Film & Fernsehen

Das große Leid der Dokumentarfilmer: In Bezug auf Archivmaterial nutzen ARD und ZDF weiterhin ihre marktbeherrschende Position aus

(ver.di FilmUnion-Newsletter 06/2012) Die Schwierigkeiten, in der heutigen Zeit Dokumentarfilme herzustellen, sind vielzählig. Nicht nur das Massensterben dokumentarischer Sendeplätze und dem damit verbundenen Auftragsschwund trägt dazu bei; nicht allein die schrumpfenden Budgets und die gestiegenen Anforderungen an unbezahlte, produzentische Zusatzleistungen, wie Recherchereisen; auch nicht die Tatsache, dass Redakteure der Öffentlich-Rechtlichen schon keine Partner mehr der Dokumentarfilmer sind; die Situation für Dokfilmer wird seit einiger Zeit auch deswegen schwieriger, weil das Auftreten der öffentlich-rechtlichen Sender immer mehr dem Verhalten von Monopolisten ähnelt, die ihre Machtfülle eiskalt missbrauchen.
Ein konkreter Vorwurf des Machtmissbrauchs lautet: die über die Gebühr hohe finanzielle Forderung an Verwender von Archivmaterial. Und das besonders perfide daran: Die Oberen der Öff.-Rechtlichen wissen, dass sich Widerstand gegen dieses Geschäftsgebaren erfahrungsgemäß in Grenzen halten wird. Denn keiner der Filmer kann es sich leisten, nach Benennung der Missstände womöglich keine Aufträge mehr zu bekommen. Doch die Sendeoberen wiegten sich zu früh in Sicherheit, denn nun regt sich tatsächlich Widerstand innerhalb der Filmszene.

Autoren wie Lutz Hachmeister und Peter Ohlendorf beispielsweise beklagen, dass ARD und ZDF ihre Archive im Umweg über Tochterfirmen als „Profitcenter“ betrachteten und die Preise über dem üblichen Preisgefüge lägen, selbst bei Arbeiten für die Sender. Hachmeister glaube nicht, dass sich in absehbarer Zeit etwas ändern werde, sagte er in einem Interview mit den epd Medien. Der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK) Thomas Frickel spricht von einer grundsätzlichen "Misere der Vergütung im Dokumentarfilmbereich". Wolle ein Autor in einem Film Archivmaterial verwenden, ließen die Sender sich dies je nach Nutzungsumfang mit bis zu 4.500 Euro pro Minute vergüten. "Der Sender verlangt für dieses Material also deutlich höhere Minutenpreise, als er für neue Produktionen zahlt. Die Urheber werden an diesen Geschäften ohnehin nicht beteiligt. Statt dessen wird von ihnen erwartet, dass sie die Rechte am sog. Klammermaterial kostenlos abtreten. Aber wenn sie selbst auf dieses Material zurückgreifen wollen, wird das zurückgewiesen. Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Hier nutzen auch öffentlich-rechtliche Sender ziemlich schamlos ihre marktbeherrschende Situation aus“, so Frickel im selben Artikel in der epd Medien. Frickel geht sogar noch einen Schritt weiter: „Die Forderungen der Sender verhinderten, dass bestimmte Filme gemacht werden, "weil es sich kaum ein Produzent leisten kann, in größerem Umfang Archivmaterial zu verwenden. Konzipiert ein Autor einen Kompilationsfilm mit Archivmaterial aus dem ‚Dritten Reich’, könnte nicht einmal der weltweite Verkauf in alle verfügbaren Territorien die dafür erforderlichen Rechtekosten decken." Rechtlich sind die Sender dabei auf der sicheren Seite. Denn, wenn ein Autor mit Fremdmaterial arbeitet, "muss er mit seiner Unterschrift bestätigen, dass alle Rechte geklärt sind. Sollte sich später herausstellen, dass dies nicht der Fall war, liegt das Problem allein bei ihm“, so Frickel in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung, die ebenfalls einen längeren Artikel dem Thema widmete.

Sprecher von ARD und ZDF wiesen die Vorwürfe unisono zurück. Mit einer "allgemeingültigen Angabe zu Minutenkosten von ‚Klammermaterial’" könne er nicht dienen, sagt Martin Gartzke vom NDR, "weil diese vom Material und dem Nutzungszweck abhängen". Unter den öffentlich-rechtlichen Anstalten werde Klammermaterial "weitgehend kostenfrei im Rahmen des sogenannten Programmaustausches abgegeben." Bei Abgabe für andere Zwecke, zum Beispiel für Sendungen der privaten Konkurrenz, würden Klammerteile "zu marktüblichen Konditionen durch unsere Verwertungstochter abgegeben, soweit entsprechende Rechte überhaupt beim NDR verfügbar sind." In der Praxis würden die Kosten "in aller Regel" im Rahmen der Kalkulation einer Auftragsproduktion an den Auftraggeber weitergeben, "sie müssen nicht vom Autor getragen werden." Gartzke findet es ohnehin "problematisch", Rechte- und Bearbeitungskosten einerseits und Autorenhonorare andererseits in einen Topf zu werfen, "da es sich um verschiedene Kategorien und Kostenpositionen einer Produktion handelt".

Der Unternehmenssprecher des ZDF, Alexander Stock, sagte: "Die Minutenpreise beim kommerziellen Vertrieb beginnen bei etwa 500 Euro. Je nach Qualität und Umfang der Rechte kann sich der Betrag aber deutlich erhöhen“. Doch wüssten die Produzenten, dass diese Kosten auf sie zukämen, schließlich „sind sie Marktteilnehmer. Und wenn sie Leistungen des ZDF in Anspruch nehmen wollen, müssen sie dafür bezahlen“, so Stock. Das ZDF sei staatsvertraglich und europarechtlich verpflichtet, sich marktwirtschaftlich zu verhalten. "Wenn allerdings ein Autor für das ZDF arbeitet, muss er für hauseigenes Archivmaterial nichts zahlen, im Gegenteil: Die Redaktionen stellen das Material in der Regel selbst zusammen."

Weil die Beistellung jedoch in den wenigsten Fällen problemlos funktioniert, rät Lutz Hachmeister rät den Autoren, sich das Recht auf Beistellung vertraglich garantieren zu lassen. Bei seinem Film The Real American – Joseph McCarthy (D 2011) etwa seien erhebliche Kosten angefallen, die ZDF Enterprises übernommen habe, weil er einen entsprechenden Vertrag hatte.

Auch die Produzentenallianz bietet einen Lösungsvorschlag: Oliver Castendyk, Wissenschaftlicher Direktor des Verbandes, schlägt vor, dass Klammerteilrechte von Auftragsproduktionen „wie in Spanien von allen Beteiligten in eine Verwertungsgesellschaft eingebracht werden, die die Ausschnitte nicht-exklusiv an Dritte lizenziert“. Dann wären die Preise moderater, und auch Urheber und Produzenten hätten finanziell etwas von der Verwertung.


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