Berlinale 2012 - Nachlese II

Blick in die Zukunft – auf dem diesjährigen Panel der ver.di FilmUnion diskutierten innovative Kreative und Branchenexperten über die neusten Entwicklungen bei Film, Fernsehen und in der Gamesindustrie

(Berlin, 16. Februar 2012) Beschäftigt man sich mit den Hintergründen einiger aktueller Filmproduktionen, fällt einem auf, dass sich offenbar die gesamte Branche weltweit Gedanken macht, wie sich auf innovative und neue Art und Weise Filme produzieren lassen. Einige der diesjährigen Berlinalefilme wurden beispielsweise mit Hilfe des auch in Deutschland immer populärer werdenden Internetinstruments Crowd-Funding finanziert, andere wurden mit Fotokameras gedreht, die einen HD-Modus besitzen, wieder andere sind Projekte, die gleichzeitig aus einem Film, einem Spiel oder einer Internet-Plattform bestehen. Die ver.di FilmUnion hatte bereits im Herbst letzten Jahres entschieden, sich auf ihrem Berlinale-Panel 2012 mit der Veränderung dieser Produktionsbedingungen zu beschäftigen. Wird es in absehbarer Zukunft das Fernsehen in der heutigen Form noch geben? Wird Crowd-Funding die Zukunft der Filmfinanzierung werden? Was für Folgen haben veränderte Arbeitsbedingungen für Kreative? Werden sie in fünf Jahren überhaupt noch ihre Berufe ausüben können? Das Panel, das Antworten auf diese Frage finden sollte, war gut besetzt: Georg Tschurtschenthaler von der Gebrüder Beetz Filmproduktion betreute als Creative Producer über mehrere Jahre hinweg das Mammut-TV- und Internetprojekt „Lebt wohl, Genossen“, das sich mit politischen und gesellschaftlichen Aspekten am Ende der Sowjetunion beschäftigt. Zu der sechsteiligen Fernsehserie entstand eine eigenständige Webseite, die das Thema mit aufwändigen Grafiken und Hintergrundinformationen aufbereitete. Zusätzlich ließ Tschurtschenthaler ein Buch publizieren, das sich ebenfalls diesem Thema widmet: "Wir haben mit 18 Ländern koproduziert, die Seite ist bereits in sieben verschiedenen Sprachen verfügbar, und das Buch wird gerade ins Italienische und Spanische übersetzt“, sagte Tschurtschenthaler. "Internetportale wie 'Der Freitag' und 'Spiegel Online' haben und genauso unterstützt, wie Universitäten oder die Bundeszentrale für politische Bildung." So innovativ die Vermarktung des Stoffes ist, waren offensichtlich auch die Arbeitsbedingungen. "Für jeden, der an diesem Projekt mitarbeitete, auch für uns, war das eine völlig neue Erfahrung. Der Regisseur musste feststellen, dass er nicht mehr dieselbe Funktion, wie bei einer Filmproduktion hatte. Er besaß nämlich nicht mehr die alleinige Entscheidungshoheit über das Projekt, auch das Autorenprinzip wurde auf viele Schultern verteilt. Und das festzustellen, war sehr schmerzhaft für die Beteiligten." Doch nicht nur die Kreativen mussten lernen umzudenken, auch der koproduzierende Sender ZDF hatte sich an die veränderten Bedingungen anzupassen. Beim Öffentlich-Rechtlichen wollte man anfangs nicht akzeptieren, dass die Webseite komplett unabhängig konzipiert und nicht in die Seite des ZDFs eingebunden werden sollte. Eineinhalb Jahre dauerte der Prozess, bis Tschurtschenthaler den Sender überzeugt hatte. Auch für Bernhard Stampfer, einem Finanzierungs- und Vermarktungsexperten für Film und Gamesprojekte, geht bei vielen Vertretern der Branche der Umdenkungsprozess nicht schnell genug. "Es gibt die neue Arbeitswelt bereits, das müsste eigentlich jedem klar sein. Diese neue Welt fängt nicht erst im Internet an, sondern schon bei den Autoren, die an jedem Projekt beteiligt sind, sie endet erst bei den Usern neuer Produkte. Und nur wer sich über neue Vertriebswege den Kopf zerbricht, wird am Ende vorne sein. Oder wie Steve Jobs von Apple es einmal nannte: 'Content is king, but distribution is God'", sagte Stampfer. Peter Henning, Drehbuchautor und Regisseur einiger Bremer "Tatorte" und Professor an der HFF in Potsdam wies ausdrücklich darauf hin, dass einige der bahnbrechenden Ideen, was cross-mediales Arbeiten angeht, bereits seit den 80-ern bekannt waren. "Nur hatten wir damals das Problem, dass wir die Ideen, die wir hatten, nicht umsetzen konnten. Uns fehlte schlicht die Technik", sagte Henning. Doch jetzt, wo Filmemachen aufgrund günstigen Equipments viel kosten- und zeitsparender sei als damals, werden auch die großen deutschen Firmen wie BMW ihren Appetit auf cross-mediale Auswertung ihrer Werbefilme vergrößern. Creative Storytelling sei hier genauso gefragt, wie z.B. beim Arbeiten für Amnesty International: "Man kann sich gar nicht vorstellen, wie langweilig ARD und 'Tatort'-Redaktion manchmal sind, so ist z.B. ein 'Tatort-Game' für mich schon seit Jahren eine logische Weiterentwicklung der Marke," sagte Henning. Mark Lepetit, kreativer Producer bei der Phoenix Film und bei der Ufa Lab, hatte schon früh mit innovativen Produkten experimentiert, wenn auch nicht gleich erfolgreich: "'Kill your darlings' war 2007 die erste Handy-TV-Soap, die allerdings nicht so gut gelaufen ist. Aber wir haben damals schon einen sog. Writers-Room eingerichtet, in dem vier Autoren saßen, die alle unterschiedliche Teile zum fertigen Produkt beitrugen. Die Ideen eines jeden Autors ließen sich zwar schützen, aber das Urheberrecht wurde aufgedröselt, quasi über jeden Einzelnen verteilt." Henning warf ein, dass eine Abschaffung des Urheberrechtes zur Folge hätte, dass es danach keine Drehbücher mehr gäben. Doch das Urheberrecht abschaffen wollte Lepetit natürlich nicht, das sei ja klar. Aber dennoch müsse man sich Gedanken machen (dürfen), wie man mit Werken verfahre, bei denen eine Idee von mehreren Kreativen gleichzeitig und an unterschiedlichen Orten ausgearbeitet wird. Womöglich noch in unterschiedlichen Ländern, auf unterschiedlichen Kontinenten. Denn solche Produktionsweisen seien doch heute an der Tagesordnung. Stampfer regte an, die Gewerkschaftsarbeit nicht mehr auf die Landesgrenzen zu beschränken, sondern sie auch auf Deutsche, die im Ausland arbeiten, zu erweitern. "Mein Mitarbeiter in Bangladesch muss eine Chance haben, dort genauso wie in Deutschland gewerkschaftlich vertreten zu werden, das wäre modern an einer Gewerkschaft, darüber sollte man mal nachdenken." Christine Schorr, die als Mitglied des ver.di Tarifausschusses, HFF-München-Dozentin und freie Cutterin auf dem Podium saß, beobachtet in ihrer Hochschule ebenfalls ein radikales Umdenken, zumindest in den Köpfen mancher. "Der Lehrplan einiger Studiengänge spiegelt die neue Arbeitswelt noch nicht wider. Doch wenn ich mit meinen Studenten spreche, merke ich schon, dass ihnen bewusst ist, in welch veränderlichen Zeiten sie leben und arbeiten", sagte Schorr. Und diese Veränderungen müssen jetzt schleunigst auch in die Lehrpläne eingearbeitet werden. Ein Fazit dieses Panels lässt sich nicht in Form von Antworten auf die aufgeworfenen Fragen formulieren. Dennoch wurde jedem Zuhörer klar, wie wichtig es ist, die Kommunikation mit diesen kreativen Frontkämpfern aufrecht zu erhalten - um nicht das Gefühl zu bekommen, den Anschluss an die moderne Arbeitswelt zu verlieren.

 

Text und Fotos: Christoph Brandl



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