Film & Fernsehen

Tatort Internet – der Kampf ums Urheberrecht

(ver.di FilmUnion-Newsletter 03/2012) Zunächst meldeten sich Parteienvertreter, Vertreter von Spitzenverbände der Film- und Musikwirtschaft, die Sprecher von GVU, Gema und anderen Verwertungsgesellschaften zu Wort, wenn es darum ging, den Umgang mit dem Urheberrecht zu kommentieren: die Schließung von kino.to, das Parteiprogramm der Piratenpartei (s. ver.di FilmUnion Newsletter, 9/11), die Verhaftung von Kim „Schmitz“ Dotcom, dem Gründer und Betreiber der illegalen fileshosting-Plattform megaupload.com, all diese Ereignisse wurden wortreich kommentiert. Anfang März begann auch innerhalb der Kreativen ein zartes Raunen, mittlerweile ist es zu einem kollektiven Aufschrei angewachsen. Praktisch jeden Tag meldet sich eine neue Branche zu Wort – als Letztes die Mitglieder des Chaos Computer Clubs (CCC), die größte europäische Hackervereinigung, die 51 Tatort-Drehbuchautoren kritisch auf deren offenen Brief am Tag zuvor antworteten. Es folgt die Gegenüberstellung der Meinungen der handelnden Protagonisten.

Mittlerweile ist das Raunen zu einem offen ausgetragenen Kampf, mitunter zu einem wahren Gemetzel zwischen den Linken, Grünen, Piraten, den etablierten Parteien und den Kreativen angewachsen. Kaum eine redet noch mit kühlem Kopf über die Sache an sich. Auch innerhalb der Kreativen gibt es geräuschvoll vorgetragene zuwiderlaufende Positionen. Gut für das Urheberrecht ist dieses Getöse allemal, denn solange derart laut darüber reflektiert wird, kann es nicht still und heimlich abgeschafft werden.

Ohne folgende Begebenheiten zu kennen, kann man die aktuelle Streitigkeiten nicht begreifen: Am 26. Januar 2012 wurde bekannt, dass Deutschland wegen formal-technischer Probleme das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA, (dt. Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen) nicht unterschreiben konnte. ACTA, das bis dato 38 Länder, darunter Kanada, die USA und 22 Mitgliedsstaaten der EU schriftlich abgesegnet hatten, wird in Japan unterzeichnet. Doch fehlte der deutschen Botschaft offenbar die Zeit, bestimmte Verfahrensregeln für die Unterschrift unter ein internationales Abkommens einzuhalten. Diese Unterschrift hatte die Bundesregierung am 30. November beschlossen. Der Bundestag war informiert worden und hatte keine Bedenken erhoben gegen ein Abkommen, das die in den USA und Europa sowie einigen anderen Ländern vorgefundenen Gemeinsamkeiten der Durchsetzung von Schutzrechten für das geistige Eigentum als Mindeststandards festschreibt. Das Abkommen soll nach Aussage der EU-Kommission dauerhaftes Wachstum der Weltwirtschaft gewährleisten, gefährliche Produktimitate aus dem Verkehr ziehen und den wissensbasierten europäischen Volkswirtschaften helfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit aufrecht zu erhalten.
Doch die fehlende Unterschrift Deutschlands unter den bereits genehmigten ACTA-Vertrag rief auf einen Schlag viele Protagonisten auf den Plan. Widerstand gegen das Abkommen regte sich zunächst in Form von Großdemonstrationen in Deutschland und auch in Frankreich, Polen, Großbritannien, Bulgarien, Portugal, Kanada, Österreich, der Schweiz und weiteren Ländern. Am 11. Februar fanden unter dem Motto „ACTA ad Acta“ zahlreiche Kundgebungen gegen ACTA statt, in Deutschland alleine gingen über 100.000 Menschen in 55 Städten dagegen auf die Straße. Unterstützt wurden die Proteste unter anderem von dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac, der Piratenpartei, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, sowie dem Chaos Computer Club (CCC). Europaweit kamen am 11. Februar in 200 Städten zwischen 150.000 und 200.000 Menschen zusammen, die hauptsächlich gegen das klammheimliche Zustandekommen ACTAS im europäischen Rat für Landwirtschaft und Fischerei demonstrierten, sowie gegen die „Verpolizeilichung“ des Internets im Falle von ACTAS Umsetzung. Freiheit im Internet, keine wie auch immer geartete Reglementierung, Demokratie für alle, und was man noch alles auf ein Plakat malen kann, hielt man auf den Demos in die Luft – Parolen, die spätestens seit den sensationellen Wahlerfolgen der Piraten parteiprogrammatisch verbrieft und durch Tausende Protest- und Erstwähler demokratisch abgesegnet sind.

Der Erste, der danach vehement die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reformierung des Urheberrechts forderte war Kulturstaatsminister Bernd Neumann: „Viel wird über das Urheberrecht gesprochen, meines Erachtens viel zu wenig über die Urheber selbst – dabei geht es um Menschen, die von ihrer kreativen Arbeit leben müssen. Was manche mit einem verharmlosenden Unterton als "Internetpiraterie" abtun, betrifft im Kern das Schicksal von hunderttausenden Kreativen! Kreative Arbeit ist keine Freizeitbeschäftigung, sondern der Broterwerb für bildende Künstler und Künstlerinnen, Orchestermusiker, Komponisten, Kameraleute, Regisseure, Cutter, Schauspieler, Journalisten, Schriftsteller, Übersetzer, Designer, Fotografen und viele mehr“, sagte Neumann in Berlin.

Prompt meldeten sich die Kreativen zu Wort, allen voran Dieter Nuhr, der sich auf dem Satiregipfel in der ARD in der ihm typischen Art mit zarten und leisen Tönen ironisch und manchmal komisch mit ACTA und seinen Folgen befasste: m Internet gibt man sowieso besser keine Widerworte, sonst bricht im Internet ein sogenannter Shitstorm los, dann können Sie Ihre Internetseite, ihre Facebookseite, ihre Mailadresse vergessen, da werden Sie plattgemacht, nicht. Das ist die geistige Freiheit im Internet, dass man zwar frei ist – aber in dieser Freiheit sagt man besser nix Falsches. Wobei ich das locker sehe, liebe Piraten, liebe Freunde des Filesharing. Ihr könnt diesen Text einfach nehmen, nachspielen, weiterverbreiten. Ich bin der Urheber. Ich bin einverstanden. Bin ja ein freiheitsliebender Mensch“, sagte Nuhr vor einem Millionenpublikum im Ersten. Der erste, dem dieser Shitstorm frontal ins Gesicht blies, war Autor und Musiker Sven Regener (Herr Lehmann, Element of Crime). Regener hatte in einer leidenschaftlichen Brandrede im bayrischen „Zündfunk“ (sic!) gesagt: „Man wirkt uncool, wenn man sagt: Urheberrecht und so. Aber es wird so getan, als würden wir Kunst machen als exzentrisches Hobby. Und das Rumgetrampel darauf, dass wir irgendwie uncool seien, wenn wir darauf beharren, dass wir diese Werke geschaffen haben, ist im Grunde genommen nichts anderes, als das man uns ins Gesicht pinkelt und sagt: ‘Euer Kram ist eigentlich nichts wert. Wir wollen das umsonst haben, wir wollen damit machen, was wir wollen, und wir scheißen drauf, was du willst oder nicht’. Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert.”

Fritz Effenberger, Journalist und Vorsitzender der Piraten-Schwaben, blies zusammen mit der fast vollständigen Netzgemeinschaft Regener ins Gesicht. Er schrieb in einer heftigen, teils herablassenden Antwort, in der er Regener „Ewig-Gestrigkeit“ vorwarf: „Ich lebe von meiner Arbeit als Urheber, vor allem als Journalist, mit Artikeln, die zu 100 % frei im Internet zu lesen sind. So leid es mir tut, das schon wieder sagen zu müssen, aber die Industrie-Ära ist vorbei, und mit ihr das Geschäftsmodell der massenproduzierten Kulturdatenträger. Viele Musiker auf der Welt leben inzwischen von neuen Geschäftsmodellen. Mach das doch auch, bitte. Leute wie ich sind inzwischen aktiv in der Piratenpartei, weil nur noch hier ein Urheberrecht diskutiert wird, das auch den Urhebern nützt, und nicht nur den industriellen Verwertern. Sorry, aber als Autor oder Musiker kriegst du üblicherweise nicht mehr als 5 Prozent vom Endverkaufspreis. Auf deinem YouTube-Channel bekommst du 50 % der Werbeeinnahmen. Und wenn du den Deal direkt mit Amazon machst, 70 % des Umsatzes. Überleg dir das mal. Nur weil jemand Kunst macht, hat er kein Recht auf Geld dafür. Er muss die Kunst verkaufen. Er muss die Leute überzeugen, ihm Geld zu geben.”

Der deutsche Kulturrat begrüßte mittlerweile die eindeutige Parteinahme von Kulturstaatsminister Bernd Neumann, denn: "Ohne professionelle Künstlerinnen und Künstler, die Beruf und Berufung in ihrem oftmals obsessiven Schaffen vereinen, würde die Kulturlandschaft sehr bald verarmen. Und da künstlerische Arbeit ein Beruf ist, muss auch ein finanzieller Ertrag aus der Weitergabe dieser künstlerischen Werke, auch im Internet, gezogen werden können. Daraus folgt zwingend für den Schutz des geistigen Eigentums einzutreten und zwar in seinen beiden nicht voneinander zu trennenden Elementen, dem Urheberpersönlichkeitsrecht und dem Verwertungsrecht. Kulturstaatsminister Bernd Neumann macht dies im Bundeskabinett als Anwalt der Kreativen. Doch wo bleibt eigentlich das Engagement des in der Bundesregierung zuständigen Kabinettsmitgliedes, der Bundesjustizministerin, in dieser Frage? Mehr als die Hälfte der Legislaturperiode ist schon um, die Probleme der Kreativen in Deutschland werden immer drängender und die Justizministerin schweigt“, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann.

Die Justizministerin schwieg mitnichten. Vielmehr betonte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf Anfrage, dass Acta nicht zu Änderungen im europäischen oder deutschen Recht führe. "Der Vertrag sieht weder eine Verschärfung der Haftung für Internet Service Provider vor, noch berührt er die deutschen oder europäischen Datenschutzregelungen." Einen völkerrechtlichen Vertrag, der Netzsperren vorsieht, hätte die Bundesregierung nicht akzeptiert. "Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, dass keine Initiativen für gesetzliche Internetsperren ergriffen werden", so Leutheusser-Schnarrenberger. Unterschreiben wollte sie ACTA vorerst jedoch nicht, was Grüne, Piraten, Linke und „Die Netzgemeinde“ – wer auch immer das sei - zum Anlass nahmen, starke Kritik an der Regierung zu üben. Man bebefürchtete, dass das Abkommen dennoch zu einem späteren Zeitpunkt unterzeichnet werden würde, nämlich dann, wenn das öffentliche Interesse nicht mehr auf ACTA gerichtet ist.
Dass die Bundesregierung in Sachen Urheberrecht ihr Mäntelchen in den jeweiligen Wahlerfolg versprechenden Wind hält, wurde spätestens nach der Landtagswahl im Saarland klar. Denn die Partei, die am meisten Stimmen hinzugewinnen konnte, waren weder die etablierten Parteien, noch die bekannten, Protestwähler mobilisierenden Parteien Grüne und Linke, sondern die inhaltsarmen Piraten. Aus Ermangelung an wichtigen Themen lässt sich deren Parteiprogramm reduzieren auf die Forderung nach politischer Transparenz, Freiheit des Internets und - die „Modernisierung“ des Urheberrechts. Wobei bisher nicht klar geworden ist, was genau daran modern sein soll, wenn das Urheberrecht und der 70-jährigen Urheberrechtsschutz, den übrigens plötzlich auch die Grünen verkürzen wollen, verweichlicht oder sogar ganz aufgehoben werden. Ist es ein Zeichen von Modernität, einem Kulturschaffenden die Früchte seiner Arbeit nicht mehr zu überlassen?

Auch die Deutsche Content Allianz, in der sich die ARD, das ZDF, die GEMA, der Bundesverband Musikindustrie, der Spitzenverband der Filmwirtschaft SPIO, der Privatsenderverband VPRT und die Allianz Deutscher Produzenten verbünden, um gemeinsame Interessen zu vertreten, warnte vor einer „Generation ohne jedes Unrechtsbewusstsein für digitalen Diebstahl“ und fordert die Bundesregierung auf, das ACTA-Abkommen sofort zu unterzeichnen und das Urheberrecht zu reformieren. Als Reaktion auf die ausgesetzte Unterzeichnung Deutschlands unter das ACTA-Abkommen gegen Internet- Piraterie sagte der VPRT-Präsident Jürgen Doetz im Namen der Deutschen Content Allianz: „Wir bedauern, dass die Bundesjustizministerin die internationale Durchsetzung des europäischen Schutzniveaus in Frage stellt. Das Abkommen soll unterzeichnet werden, da die von ACTA vorgesehenen Maßnahmen gegen Internet-Piraterie bereits dem deutschen Recht entsprechen.“

Deutliche Worte zum Schutz des Urheberrechtes fanden Ende März auch die 51 TatortautorInnen, die einen offenen Brief an die Grünen, die Piraten, die Linke und an die Netzgemeinde verfassten. Zwar erkennen die AutorInnen an, dass sich die Angesprochenen "eines veritablen Problems " annehmen zwischen den Urhebern, die von unangemessener Vergütung und von illegaler Nutzung ihrer geschützten Werke betroffen sind, und den Usern, denen Netzsperren und anlasslose Vorratsdatenspeicherung droht. Gleichzeitig mahnen sie an, sich von „ein paar Lebenslügen zu verabschieden“, der demagogischen Suggestion, „es gäbe keinen freien Zugang zu Kunst und Kultur mehr“ und der demagogischen Gleichsetzung „von frei und kostenfrei“. Die Suggestion, dass die von Verfassung und EU-Richtlinien geschützten Urheberrechte politisch zur Disposition stünde, wird als weitere Lebenslüge entlarvt. Als „vermutlich gravierendste Lebenslüge“, so der Vorwurf der Absender, werden als Übeltäter Verwertungsindustrie und Verwertungsgesellschaften ausgemacht, nicht etwa Google, youtube oder gar auf illegalen Geschäftsmodellen beruhenden Internetserviceprovider, die alle sehr viel Geld mit Content verdienen.

Zentrales Ärgernis dabei scheint zu sein, dass, obwohl jeder die Erzeugnisse der Urheber begehre, bisher niemand direkt mit ihnen gesprochen habe. Deshalb endet der Brief mit einem Angebot: “Für konstruktive Gespräche über den anstehenden historischen Kompromiss zwischen Urhebern und Usern stehen wir jederzeit bereit.“
Diesen Brief wiederum nahmen Vertreter der Netzgemeinde, nämlich die Mitglieder des Chaos Computer Club (CCC) zum Anlass, ihn auf clever-polemische Art auseinanderzunehmen: Die als Programmierer, Hacker, Gestalter, Musiker, Autoren von Büchern und Artikeln sowie als Herausgeber von Zeitungen, Blogs und Podcasts tätigen Mitglieder, die sich selbst auch als Urheber verstehen, schrieben:

„Die Pauschalkritik an Verwertern, die uns nun mit so bunt zusammengeklaubten Kommentaren von so unterschiedlichen Quellen wie drei Parteien und einer von Euch offensichtlich nicht ganz verstandenen "Netzgemeinde" um die Ohren gehauen wird, ist so nie geäußert worden. Dieser plumpe Diskussionsstil ist uns zuletzt bei den eben alle Verwerter in einen Topf werfenden Zwölfjährigen begegnet, die gegen Staat, GEMA und zu wenig Taschengeld rebellierend ihre Lieblingsmusik für lau aus dem Netz ziehen und denen dafür jede Rechtfertigung recht ist. Daß hier noch kein Equilibrium im Spannungsfeld zwischen neuen Technologien und Werkschaffungen im Vor-Netz-Zeitalter erreicht ist, ist offensichtlich. Dies ist jedoch kein Grund, uns als Netizens mit in denselben Topf zu werfen.“

Es werde daher keinen "historischen Kompromiss" geben, denn es stehen sich nicht zwei Seiten gegenüber, jedenfalls nicht Urheber und Rezipienten, sondern allenfalls prädigitale Ignoranten mit Rechteverwertungsfetisch auf der einen Seite und „ihr und wir auf der anderen, die wir deren Verträge aufgezwungen bekommen.“

Acta steht mittlerweile vor dem Aus: Denn das Europäische Parlament wird das Handelsabkommen Acta (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) nicht vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) überprüfen lassen, sondern bereits im Juni darüber abstimmen. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Parlamentarier das umstrittene Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen ablehnen werden. Und die Piratenpartei, die übrigens auch für die Wahl in Nordrhein-Westfalen keine besonderen Themen hat, steht bei mittlerweile 12 % Zustimmung der Bevölkerung, übrigens in ganz Deutschland. Wäre doch eigentlich ein Grund, in NRW SPD zu wählen...

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