AV-Produktion

ver.di gewinnt Rechtsstreit gegen eine Praktikantenausbeuterin der Medienbranche

(ver.di FilmUnion-Newsletter 02/2012) Die Lage ist katastrophal bis hoffnungslos: Um voranzukommen in Arbeit und Beruf lassen sich viele zum Teil hochqualifizierte und gut ausgebildete junge Menschen bei einem oft unbezahlten Praktikum stumm und widerstandslos ausbeuten. Meist müssen sie dabei Tätigkeiten verrichten, die denen eines in derselben Firma vollbeschäftigten Festangestellten gleichen.
Und das, obwohl es bei einem solchen Praktikum häufig sogar eindeutige Verträge gibt, die festlegen, dass das Beschäftigungsverhältnis eben genau dieses ist: ein Praktikum, zum Erwerb von Erfahrungen und Kenntnissen. Eine junge Uni-Absolventin hatte sich mit einem besonders dreisten Fall von Praktikantenausbeutung an die Rechtsabteilung von ver.di gewandt, geklagt – und gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber gewonnen.

Die studierte Übersetzerin und Medienkommunikationswissenschaftlerin Maria K.* hatte bei einer Potsdamer Filmsynchronisationsfirma, die Audiopostproduktion für Film und TV, sowie die Entwicklung, Herstellung und denVertrieb audiovisueller Medien als Geschäftsfeld angibt, ein sechsmonatiges Praktikum absolviert. Im Praktikumsvertrag der Maria K. heißt es unter § 3, Pflichten der Firma u.a.:

Die Firma ist im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten verpflichtet
  • Erfahrungen und Kenntnisse durch eine oder mehrere geeignete Personen zu vermitteln,
  • die zum Besuch von Weiterbildungsmaßnahmen des Arbeitsamtes notwendige Freizeit zu gewahren.

Die Klägerin fertigte während dieser Zeit u.a. Rohübersetzungen von englischsprachigen Dialogbüchern zu 16 Serienfolgen amerikanischer Fernsehserien an und leitete diese an die Dialogbuchautoren weiter. Sie speicherte des Weiteren die von der Fernsehredaktion zugeschickten englischsprachigen Dialogbücher in Ordnern ab, pflegte die Materialstandsliste, fertigte diverse E-Mails und war jedenfalls im Zusammenhang mit der Organisation von zwei Sprechercastings tätig. Die Klägerin erledigte auch Bürotätigkeiten wie Bestellen von Büromaterial, Kopieren, Entgegennahme von Telefonanrufen und Buchen von Flügen und Zügen und betreute prominente Sprecher und Kunden. Des Weiteren organisierte sie die interne Weihnachtsfeier. Allerdings auf ihren eigenen Wunsch.

Was sich liest wie der ausgefüllte Arbeitsplan einer Vollzeitkraft wurde mit sage und schreibe 200 € pro Monat entlohnt. Ein Hungerlohn. Nur durch ein Stipendium, das die Klägerin parallel erhielt, konnte sie ihren Lebensunterhalt halbwegs bestreiten. Gemäß dem - im Moment strittigen - Manteltarifvertrag zwischen dem Verband Technischer Betriebe für Film und Fernsehen e.V. (VTFF) und ver.di stünden der Klägerin ab 1. März 2008 1.725,75 Euro und ab 1. Januar 2009 1.760,25 Euro als Gehalt zu. Pro Monat wohlgemerkt.

Das ver.di-Mitglied Maria K. ist nach dem 9. Mai 2009 als Freiberuflerin tätig geworden und hat für erstellte Rohübersetzungen von Serien für eine 45-minütige Folge 175,00 Euro und für eine 90-minütige Folge 350,00 Euro erhalten. Sie rechnete kurz zusammen und beschloss nach Rücksprache mit ver.di Klage einzulegen und zwar auf 10.485,82 Euro brutto abzüglich 1.200,00 Euro netto nebst Zinsen ab Klagezugang. Maria K. trug vor, sie sei bei der Beklagten nicht als Praktikanten, sondern als vollwertige Arbeitnehmerin tätig gewesen Nach einer kurzen Einführung in allgemeine Bereiche wie PC-Ordnerstruktur, Rufumleitung etc., sei ihr schon bei einem ersten Gespräch von der Geschäftsführerin der Beklagten das Projektmanagement für eine amerikanische TV-Serie anvertraut worden. Es sei ihr grob erklärt worden, welche Aufgaben sie dabei zu verrichten habe und wer die Ansprechpartner seien. lhr sei zwar versichert worden, sie könne jederzeit Fragen stellen, doch schlussendlich sei sie von da an auf sich allein gestellt gewesen und habe sich eigenverantwortlich um den reibungslosen Ablauf des Projektes kümmern müssen.

Maria K. fand, dass angesichts ihres Einsatzes als vollwertige Arbeitnehmerin die Vergütung von 200,00 Euro sittenwidrig sei, sie habe gemäß § 612 Abs. 2 BGB Anspruch auf die taxmäßige Vergütung aus dem oben erwähnten Manteltarifvertrag.
Erwartungsgemäß beantragte die Beklagte, die Klage abzuweisen. Im Wesentlichen trug sie vor, dass die Klägerin sehr wohl als Praktikantin tätig geworden sei, jedenfalls könne sie dieses Praktikum nicht nachträglich in ein Arbeitsverhältnis umdeuten. Soweit sie überhaupt an der Synchronisation beteiligt gewesen sei, sei dies bei entsprechender Anleitung und Kontrolle geschehen. Die Leistungen der Klägerin hätten kontrolliert und überarbeitet bzw. korrigiert werden müssen, usw. Was man halt so sagt, wenn man unter Druck steht.

Das Gericht jedenfalls gab der Klägerin nun in großen Teilen Recht. Ihr steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von insgesamt 7.800,00 Euro brutto abzüglich 1.200,00 Euro Praktikantengehalt, nebst Zinsen seit dem August 2010 zu. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 612 BGB, denn die Klägerin ist für die Beklagte auf der Grundlage eines Arbeitsverhältnisses tätig geworden. Gemäß § 612Abs. 2 BGB iVm. einer entsprechenden Anwendung des § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB kann die Klägerin einen monatlichen Betrag von 1.300,00 Euro brutto beanspruchen.

Ein schöner Erfolg. Immerhin zeigt das Urteil, dass Praktikanten sehr wohl rechtliche Möglichkeiten haben – und in ver.di eine kompetente Rechtevertretung an ihrer Seite wissen.




* Name geändert



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