Digitalisierungsmodell vor dem Aus

(BFV-Newsletter 7-8/2010) Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, in diesem Fall das Kartellamt. Die Obersten Wettbewerbshüter signalisierten, dass sie das vom Bundeskabinett und Parlament Ende Juni beschlossene Zwei-Säulen-Modell zu Digitalisierung der Kinos nicht genehmigen werden.
Danach sollte die Umrüstung der 2500 sogenannten Marktkinos mit einem Umsatz von mehr als 180.000 Euro je Leinwand zu 80% von den Verleihern und zu 20% aus Eigenmitteln finanziert werden. Bei den so genannten Kriterienkinos mit einem Umsatz zwischen 40.000 und 180.000 Euro sollten Bund, Länder, Verleiher und die FFA je 20% der veranschlagten Kosten für die Technik von 72.000 Euro geben, der Rest hätte der Kinobetreiber zu zahlen.

Doch schon dieses Modell hatte zwei Schönheitsfehler. Die Verleiher waren von 77.000 Euro je Leinwand ausgegangen. Diese Summe wurde von Bernd Neumann auch bei der Vorstellung des Fördermodells Anfang Mai genannt. Bis zur Anhörung im Kulturausschuss Mitte Juni wurden daraus 72.000 Euro. Außerdem klagten viele Kriterienkinos, dass sie bei ihren Umsätzen den Eigenanteil nicht aufbringen können und hohe Zusatzkosten hätten, da ihre oft mehrere Jahrzehnte alten Häuser aufwändig umgebaut werden müssen.

Ihre einzige Hoffnung waren die Verleiher, die versprochen hatten, Mittel für ihre Digitalisierung umzuwidmen, die bei den Marktkinos nicht gebraucht werden. Zuvor hatten sie das Zwei-Säulen-Modell bei der EU-Kommission in Brüssel eingereicht. Unter den vier dort beanstandeten Punkten war die fehlende Prüfung des Modells durch das Deutsche Kartellamt.

Die Wettbewerbshüter schlossen sich der Meinung eines Gerichts in Frankreich an, das in einem flächendeckenden Modell zur technischen Umrüstung der Kinos mit staatlicher Unterstützung Nachteile für so genannten Third Partie-Anbieter witterte, die privatwirtschaftlich finanzierte Modelle zur Umrüstung anbieten.

Blamiert sind jetzt Filmwirtschaft- und Politik für ihre Langsamkeit und Lamentirerei. Seit mehr als drei Jahren diskutieren sie über ein flächendeckendes Modell zur Digitalisierung aller Kinos. Das von PriceWaterhouseCooper 2008 erarbeitete 100-Modell scheiterte an der von Kulturstaatsminister Bernd Neumann seit März 2009 gewollten Verknüpfung mit dem Filmförderungsgesetz. Da von diesem Branchengeld 40 Mio. Euro für die Digitalisierung reserviert waren, forderte er eine Rücknahme der Klagen beim Verwaltungsgericht in Leipzig gegen das Gesetz in der Fassung von 2004. Dazu waren Cinestar und die anderen Multiplex-Gruppen nicht bereit. Ihre Klagen nahmen sie auch nicht zurück, nachdem am 1. August das novellierte Gesetz in Kraft trat, das Gerechtigkeit zwischen den einzelnen Einzahlergruppen herstellt.

Die Norweger waren dagegen pragmatischer. Auf dem kleinen Markt wurde 2008 ein leicht modifiziertes 100-er Modell umgesetzt. Einspruch von Dritten blieb aus, auch weil diese erst auf dem Markt auftauchten, als sich die großen Hollywood-Studios auf eine technische Norm für die Projektoren einigten. Diese teure DCI-Spezifikation soll Piraten das Handwerk legen und wurde auch von den deutschen Verleihern und Politikern bei der Ausarbeitung des 2-Säulen-Modells als Mindestmaß gesehen.

Nach dessen Ablehnung hoffen die Verleiher weiter auf eine Beteiligung von Bund, Ländern und FFA an den Kosten. Allerdings wird die Umrüstung der Kinos jetzt teurer, da die Drittanbieter natürlich verdienen wollen. Sie funktionieren wie eine Bank, bei denen Verleiher und Kinos einen Kredit aufnehmen. Die Firma Ymagis aus Frankreich soll – so heißt es aus dem Verleiherverband – dem BKM ein Angebot zur Digitalisierung der Kriterienkinos gemacht haben. In der AG Kino, die ihre Interessen vertritt, weiß man davon allerdings nichts. Und auch aus dem BKM war keine Bestätigung zu bekommen.

Der Pferdefuß: 90.000 Euro sollen jetzt nach Einschätzung des Verleiherverbandes pro Leinwand fällig werden – macht unter dem Strich 333 Mio. Oder 67 Mio. Euro Mehrkosten.

Aus dem Verleiherverband hört man, dass der Fehlbetrag von den Mitgliedern übernommen werden könnte. Er empfiehlt seinen Mitgliedern, Verträge mit den Drittanbietern abzuschließen. Er reagiert damit auch auf die Haltung vieler Kinos. Um vom 3-D-Boom zu profitieren, sind bereits mehr als 500 Leinwände umgerüstet. Einige Kinoketten hatten zudem eigene Verträge mit Drittanbietern geschlossen. Eine nachträgliche Förderung der bereits technisch umgerüsteten Kinos, wie sie der Hauptverband Deutscher Filmtheater wiederholt gefordert hat, wird es aber durch den Bund nicht geben.

Das 2-Säulen-Modell in der derzeitigen Fassung wird also Makkulatur. Am 23. August werden die Verleiher zum Gespräch bei Bernd Neumann erwartet. Um nicht weiter den Entwicklungen hinterherzulaufen, regt der Verleiherverband jetzt die Einsetzung eines Beirats an, der die öffentliche Hand in Fragen der Digitalisierung berät.

Bei den weiteren Verhandlungen könnte sich dann auch Bewegung zur so genannten DCI-Norm abzeichnen. Die Bundesregierung führt derzeit Gespräche zu alternativen Projektoren, die sowohl in der Anschaffung als auch der Wartung günstiger sind als die derzeit gängigen, den DCI-Spezifikationen entsprechenden Projektoren. Diese alternativen Projektoren sollen die Sicherheitsanforderungen der DCI-Spezifikationen ebenfalls erfüllen und für kleinere Leinwände geeignet sein. Denn der Bundesregierung kommt es ebenso wie der Filmförderungsanstalt darauf an, diejenige Technik zu fördern, die den individuellen Bedürfnissen des jeweiligen Kinos im Einzelfall bestmöglich entspricht. Allerdings muss auch aus finanziellen Gründen die Nachhaltigkeit der mit Hilfe der Förderung bewerkstelligten Investition im Einzelfall hinreichend belegt sein.“

Das wäre auch im Sinne der AG Verleih, des Zusammenschlusses von 20 kleinen, unabhängigen Verleihern. Sie kritisiert, dass man sich bei der Umstellung der Kinoprojektoren bislang größtenteils an dem für die mittleren und kleinen Arthousekinos nicht nötigen DCI-Standard orientiert. Da es auch beim analogen Kino "keine vorgeschriebene technische Standardnorm" gäbe, fordert sie "eine Öffnung des DCI-Standards zugunsten technisch gleichwertiger, an den Anforderungen und Möglichkeiten der jeweiligen Kinos ausgerichteter und ungleich preiswerterer Lösungen".

Ebenfalls von der AG Verleih kritisiert werden die "Third Party"-Modelle, wonach Drittfirmen nicht nur mit den Kinobetreibern Verträge zur DCI-Umrüstung und deren Finanzierung, sondern auch mit den Verleihern, die ihre Filme in diesen Kinos zeigen wollen, schließen. Hier befürchtet die AG Verleih, dass "unabhängige Verleiher mit weniger und weniger flächendeckenden Kinostarts dabei mit größter Wahrscheinlichkeit höhere Kosten zu erwarten haben". Das würde die vielfältige deutsche Kinolandschaft nachhaltig beschädigen.

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