Home-Entertainment vor dem Umbruch – onlinefilm.org mit mehr als 1000 Titel

(BFV-Newsletter 7-8/2010) „Der DVD-Markt in Süd-Korea ist völlig zusammen gebrochen. Das hat uns Filmemacher in eine tragische Situation gestützt, denn die Filme werden illegal aus dem Netz runter geladen,“ umschreibt Joon-ho Bong, Regisseur des Hits „The Mother“ die Situation in seinem Land.
„Momentan versuchen wir Kampagnen zu starten, dass illegale Downloads verboten werden sollen und dafür legale Downloads möglich werden, damit wir die Verluste aus dem Wegfall des DVD-Geschäfts wieder ausgleichen können.“ Was Joon-ho Bong für seine Heimat beschreibt, sieht Martin Moszkowicz, Vorstand Film und Fernsehen der Constantin und Vorsitzender der Europäischen Produzentenvereinigung, auch auf den alten Kontinent zukommen. Wenn 70% eines Landes mit Breitbandanschlüssen versorgt seien, könne der DVD-Markt zusammenbrechen. Spanien stehe kurz vor dieser Schallmauer, sagt er beim Wirtschaftsgipfel der MBA am 17. Juni in Berlin. Der Ausbau der schnellen Internetverbindungen zum Transport großer Datenmengen ist auch ein erklärtes Ziel der Bundesregierung unter Angela Merkel. 60% der Deutschen hatten 2009 bereits Zugang, 2014 sollen es 75% sein. Dazwischen könnte der Break-Even-Punkt liegen, was der Branche durchaus bewusst ist. Zu den zahlreichen unabhängigen Plattformen gehört onlinefilm.org von Cay Wesnigk. 2000 hat der Filmemacher angefangen seine Idee zu verwirklichen, scheiterte aber noch an den hohen Leitungskosten von Monopolist Telekom. Seit 2007 ist er mit 30 Titeln Online. Mittlerweile haben Filmemacher mehr als 1000 Titel eingestellt und die renommierte Kulturzeitschrift „Freitag“ macht für sie Werbung. Den Preis für das Herunterladen legen die Urheber selbst fest. „Wir stellen direkt vom Erzeuger ein, der oft auch einen höheren Erlös pro verkauftem Titel als beim Verkauf einer DVD erhält, obwohl der Preis im Netz deutlich niedriger ist als auf dem DVD-Markt“, sagt Wesnigk. Grund ist der Wegfall der Herstellungs-und Vertriebskosten einer DVD. Ein Vorteil, den auch Moszkowicz einräumt: „Es gibt derzeit sehr viele unterschiedliche Abrechnungsmodelle – je nach Plattform. Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, welches Modell sich durchsetzt. Wir sind – nicht zuletzt zur Amortisation der Investitionen in die Herstellungskosten daran interessiert, den Anteil an jeder Verwertung so hoch wie möglich anzusetzen.“

„Die Vorteile digitaler Verbreitung von Inhalten liegen auf der Hand – und beziehen sich nicht nur auf die Kostenseite. Auf der anderen Seite ist der ‚physische‘ Besitz einer DVD auch ein starker Kaufanreiz“, schränkt Moszkowicz ein. Doch auch er weiß: Die älteren Zuschauer werden vielleicht weiter eine DVD im Schrank haben wollen, die Internetaffine Generation wird umsteigen. „Derzeit ist die digitale Verbreitung von Inhalten nur rein ganz kleiner Prozentsatz des Home-Entertainment-Marktes. Wir erwarten hier eine Verlagerung zugunsten der digitalen Verbreitung – allerdings ist im Moment noch nicht abschätzbar, in welchem zeitlichen Rahmen sich das abspielen wird“. Die Constantin arbeitet mit verschiedenen VOD-Anbietern zusammen. Ein eigenes Portal planen die Münchner nicht.

Voraussetzung für das Geschäft im Internet ist und bleibt aber der Besitz der Rechte. „Wir sind bestrebt bei allen unseren Filmen möglichst umfassende Rechte – also auch die VOD – Rechte zu erwerben“, betont Moszkowicz. Der Münchner Verleiher ist damit keine Ausnahme, der Produzent muss seinen Anteil verhandeln. Oder sie rauskaufen und selbst vermarkten, wofür der Mehrzahl der deutschen Firmen das Eigenkapital fehlt.

Komplizierter ist es bei reinen Fernsehproduktionen, bei denen alle Sender bislang die Rechte für unbekannte Nutzungsarten gekauft haben. Sieben Tage lang dürfen Sendungen nach der Ausstrahlung den Regelungen des Rundfunkänderungsstaatvertrages im Netz stehen. Seit mehr als einem Jahr verhandelt die Produzentenallianz mit den vier großen Sendergruppen. „Teil der Terms of Trade Verhandlungen ist, dass Teilrechte bei TV-Auftragsproduktionen gemeinsam von Sender und Produzent genutzt werden sollen. Wir hoffen sehr, dass wir diese Position in den Verhandlungen mit allen Sendern erreichen können“, beschreibt Moszkowicz das Ziel der Gespräche.

Zugleich müssen das Filmförderungsgesetz und die Förderrichtlinien der Länder dem neuen technischen Zeitalter angepasst werden, damit die Produzenten weiter auf diese Mittel zurückgreifen können. „Im förderungsrechtlichen Rahmen sehen wir die VOD-Auswertung auf gleichem Level wie die Home-Entertainment-Auswertung“, so Moszkowicz. Schon in dem seit 2009 gültigen Filmförderungsgesetz sind VOD-Anbieter unter den Einzahlern. Bei der Novellierung des Gesetzes 2013 wird sicher weiter darüber geredet werden. „Das Thema ist – auf jeden Fall im BKM und in den Gremien der FFA – auf dem Tisch.“

Doch noch weiß niemand, ob VOD mögliche Verluste aus dem Wegbrechen des DVD-Marktes ausgleichen kann, da niemand abschätzen kann, ob das Piraterie-Problem in den Griff zu bekommen ist. Niedrigere Preise für den legalen Erwerb eines Filmtitels im Netz würden den Piraten schon mal das vorgeschobene Argument aus den Segeln nehmen, DVDs seien überteuert. Dazu kommt der Vorteil vor allem für Titel, die nicht dem Massengeschmack entsprechen. Scheuen die Anbieter von DVDs heute vielleicht davor zurück, sie ins Programm aufzunehmen, weil die Kosten für die Produktion weit unter den erwarteten Einnahmen liegen, haben sie im VOD-Bereich eine Chance. Doch ohne wirksame gesetzliche Maßnahmen zum Schutz vor Piraterie im Netz wird die Verschiebung im Home-Entertainment-Bereich wohl zu Einnahmeverlusten bei den Produzenten führen. Beim Vorantreiben des Ausbaus haben die Politik einseitig in Richtung Technik gedacht, aber den Content vergessen,“ gesteht Helga Trüpel, Bündnis 90/Grüne, stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung des Europaparlaments ein. Außerdem sei der Einfluss der Provider und der Telekommunikationsbranche auf die Politik sehr groß.

Da machte es wenigstens Hoffnung, dass die Chefs der Hollywood-Studios Bundeskanzlerin Angela Merkel im März eindringlich klar machten, dass dringender Handlungsbedarf bestehe.

Doch noch herrscht ein Zuständigkeitskuddelmuddel: Justiz-, Wirtschafts-, Arbeits- und Sozial-, sowie das Verbraucherschutzminsterium, BKM und die Länder reden mit. Und den Rechteinhabern bleibt nicht mehr, als mühsam einzeln gegen die Down- und nicht die Uploader vorzugehen. „Wir gehen doch nur gegen sie vor, weil wir uns nicht an die Firmen heranwagen können. Die Provider sind die Giganten, sie verdienen mit unseren Inhalten. You Tube und Apple verkaufen Werbung, weil wir in unsere Filme investiert haben“, bringt es Martin Moszkowicz auf den Punkt. „Mit Seiten wie Kino-To werden vermutlich drei bis fünf Mio. Euro im Monat verdient. Es war bisher noch nicht möglich, gegen die Betreiber vorzugehen. Die Provider sitzen in verschiedenen Ländern, die Hintermänner wahrscheinlich in Deutschland. Das ist organisierte Kriminalität. Um gegen sie vorzugehen, brauchen wir die Unterstützung der Politik.“ Der Europäische Gerichtshof habe den Weg gewiesen, als er bei der Abwägung von Datenschutz und Urheberrechtsschutz darauf hingewiesen habe, dass der Datenschutz kein Argument sein könne, um das Urheberrecht zu umgehen, so Brigitte Lindner, Anwältin aus London. Doch noch wartet die deutsche Filmbranche vergebens auf ein Machtwort der Kanzlerin oder eine richtungsweisende Entscheidung der Justizministerin. „Sie hat nur angekündigt, dass die Provider eventuell in Haftung genommen werden könnten“, kritisiert Joachim Birr, Vorstandmitglied BVV. „Wir reden seit zwei Jahren mit ihnen über eine freiwillige Einigung. Wir würden erwarten, dass es eine gesetzliche Regelung gibt, wenn es keine Einigung gibt.“


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