Film & Fernsehen

„6 statt 12“ - Gesetz zur sozialen Absicherung vor Verabschiedung

Frank-Walter Steinmeier wollte gerne zu seinem Wort stehen. Zur Berlinale hatte er Schauspielern und Filmschaffenden versprochen, nach jahrelangem Tauziehen zwischen SPD und CDU ein Gesetz zur Verbesserung ihrer sozialen Absicherung auf den Weg zu bringen. Denn seit Einführung der Agenda 2010 durch SPD und Grüne haben rund 50% der mehr als 20.000 Mitarbeiter an deutschen Film- und Fernsehsets keine Chance Arbeitslosengeld zu erhalten, weil sie mit ihren kurzfristigen Engagements nicht auf die geforderte Beschäftigungszeit von 12 Monaten in zwei Jahren kommen. Einzahlen müssen sie aber trotzdem.

Diese Situation wird sich nach dem Gesetzentwurf, der am 20. Mai ins Kabinett eingebracht wurde, kaum ändern, befürchten die Interessenvertreter der Beschäftigten vor und hinter der Kamera, obwohl einige Verbesserungen zu den von ihnen heftig kritisierten ersten Überlegungen von Arbeitsminister Olaf Scholz eingezogen wurden. Die Einwände waren von Kulturstaatsminister Bernd Neumann aufgenommen worden, der mit Scholz einen Kompromiss ausgehandelt hatte, gegen den Finanzminister Peer Steinbrück Ende April mit Blick auf die angespannte finanzielle Lage der Bundesanstalt für Arbeit sein Veto einlegte.

Das zwei Wochen später erfolgte Einlenken Steinbrücks verwässert den richtigen Ansatz der grundsätzlichen Neuregelung weiter. Gelobt wird von allen Verbänden, dass künftig nicht mehr 12, sondern nur sechs Monate Beschäftigungszeit in zwei Jahren gefordert sind, um Ansprüche auf ALG1 zu erlangen. Das Gesetz sieht dann vor:
6 Monate Anwartschaftszeit und 3 Monate Alg 1
8 Monate Anwartschaftszeit und 4 Monate Alg 1
10 Monate Anwartschaftszeit und 5 Monate Alg 1
Ab 12 Monaten Anwartschaftszeit greift die normale Anspruchsdauer von 12 Monaten für Alg 1, die dann ja nicht mehr an die o.g. Voraussetzungen geknüpft ist.

„Das Gesetz kann aber nur der erste Schritt sein, mit dem wir einen Fuß in die Tür bekommen haben, weil der Gesetzgeber erstmals anerkannt hat, dass kurzfristig Beschäftigte durch die bisherige Regelung benachteiligt waren,“ schätzt Heinrich Schafmeister, Sozialexperte des Bundesverbands der Film- und Fernsehschauspieler ein. Der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke ergänzt: „Es ist gut, dass die Koalition noch in dieser Legislaturperiode für die prekärsten Beschäftigungsformen eine soziale Absicherung schafft. Für viele Betroffene im Film- und Kulturbereich läuft der vorliegende Gesetzentwurf allerdings ins Leere.“
Nach heftiger Kritik der Betroffenen, wurde die von Scholz vorgesehene individuell für jeden Betroffenen zu berechnende Ruhezeit gestrichen – hier griff wohl die Einsicht, dass die Arbeitslosen in dieser Zeit weder renten- noch krankenversichert sind.

Alle Vertreter der Kreativen kritisieren zwei Kriterien, die viele Einzahler nach wie vor um ihre berechtigten Ansprüche bringen. Wer mehr als 30240,- Euro im Jahr verdient, soll leer ausgehen, obwohl er bis zur Beitragsbemessungsgrenze, die mehr als doppelt so hoch ist, sogar noch steigende Beiträge einzahlt. „Dies diskriminiert die ohnehin benachteiligten kurz befristet Beschäftigten und ist offensichtlich verfassungswidrig“, betont Schafmeister.

Während um diese Summe zwischen SPD und CDU kaum gestritten wurde, erregte das zweite Ausschlusskriterium heftig die Gemüter. Ursprünglich wollte Olaf Scholz bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes nur Beschäftigungsverhältnisse einbeziehen, die in ihrer überwiegenden Anzahl nicht länger als einen Monat dauern. Bernd Neumann, die CDU-Fraktion und einige Verbände plädierten dagegen für drei, die filmpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Angelika Krüger-Leißner für zwei Monate. Auf diesen Zeitraum hatten sich offensichtlich auch Scholz und Neumann Ende April geeinigt. Nach der Intervention von Steinbrück sind es nun sechs Wochen geworden.

Die Befristung ist für Schauspieler günstig, die nicht in tragenden Rollen in großen Produktionen besetzt sind. Wer jedoch hinter der Kamera in verantwortungsvollen Positionen an Sets von Film- und Fernsehproduktionen arbeitet, könnte weiterhin umsonst eingezahlt haben. Daher soll für eine kleine Hintertür geöffnet werden. Meldet sich zum Beispiel ein Kameramann bei der Agentur für Arbeit, weil er in zwei Jahren an 180 Tagen beschäftigt war, kriegt er Geld, wenn 91 aus Beschäftigungen herrühren, die jeweils nicht länger als sechs Wochen dauern.
Verbände und Gewerkschaften sind skeptisch, ob er so viele Aufträge überhaupt akquirieren könnte und halten dies im Moment für eine Mogelpackung. ver.di hatte deshalb gefordert, dass nicht die Beschäftigungsdauer, sondern die Anzahl der Engagements ausschlaggebend gewesen wären. Dann hätten drei Drehs von insgesamt 6 Monaten Dauer für unseren Kameramann schon ausgereicht, egal wie lang der einzelne Dreh nun gewesen ist.

Illusionen machen sich die Interessenvertreter der Film- und Fersehschaffenden indes kaum, dass es im parlamentarischen Beratungsprozess noch zu einschneidenden Änderungen kommt. Sie hoffen, auf die versprochene Evaluierung des Gesetzes in drei Jahren. „Die Alternative wäre totale Hoffnungslosigkeit und völliger Frust und Enttäuschung: Offensichtlich sehen alle, dass wir kurz befristet Beschäftigten benachteiligt werden. Aber die Politik schaut lieber weg, anstatt zu handeln,“ umschreibt Heinrich Schafmeister seine Gefühle. Matthias von Fintel kündigt für ver.di an: „In der Zeit müssen wir dran bleiben, um diese Evaluierung zu begleiten. Wir werden beobachten wie viele Filmschaffende durch das nun vom Gesetzgeber geschaffene Raster fallen und Nachbesserungen dann einfordern.“



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