„Abgedreht und abgelehnt“ – ver.di FilmUnion fordert eine Lösung für das Alg1-Dilemma von Film- und Fernsehschaffenden. Regierungskoalition plant Verbesserung der verkürzten Anwartschaft.


(Berlin, 26. Januar 2012) Unter dem Titel „Abgedreht und abgelehnt“ hat die ver.di FilmUnion die Befragungsergebnisse einer Sozialstudie unter Film- und Fernsehschaffenden präsentiert und nötige Änderungen in der Arbeitslosenversicherung mit Fachpolitikern der Bundestagsfraktionen vor 120 Betroffenen aus der Filmbranche zur Sprache gebracht. Zu Beginn der Veranstaltung am 24. Januar in der Urania Berlin empfingen prägnante Zitate von Film- und Fernsehschaffenden über ihre unzureichende soziale Absicherung die Gäste. Das Thema des Abends brachte beispielhaft die Äußerung eines Set-Tonmeisters auf den Punkt: „Ich zahle die vollen Sozialabgaben, aber nach Drehschluss krieg ich wieder nur Hartz IV“ Gemeint ist die bisher noch ungenügende Ausgestaltung der seit Sommer 2009 geltenden verkürzten Anwartschaft auf Arbeitslosengeld 1, die eigentlich Projektbeschäftigten, wie Film- und Fernsehschaffende es sind, zu Gute kommen sollte. Warum diese beabsichtige Verbesserung noch nicht eingetreten ist und was zu tun ist,diskutierten Kultur- und Sozialpolitiker der Bundestagsfraktionen Gitta Connemann (CDU), Reiner Deutschmann (FDP), Angelika Krüger-Leißner (SPD), Brigitte Pothmer (Grüne), Sabine Zimmermann (Linke) mit der Verfasserin der Sozialstudie Prof. Dr. Andrea D. Bührmann (Universität Göttingen) und Matthias von Fintel (ver.di) Aus den präsentierten Studienergebnissen wurde deutlich: das Sozialversicherungssystem muss sich auf die sehr speziellen Erfordernisse von zunehmend kurzzeitigen Beschäftigungen in Projektarbeit einstellen. Nur 5,5 Prozent der Befragten erhielten Arbeitslosengeld 1nach der verkürzten Anwartschaftszeit. Über zwei Drittel der gestellten Anträge wurde abgelehnt, weil der Anteil der Anwartschaftstage aus kurzen Beschäftigungen bis zu 6 Wochen Dauer zu gering war oder die Verdienstgrenze von 30.240 € pro Jahr überschritten wurde. Daher sind 41 Prozent der Befragten auf öffentliche oder private Transferzahlungen angewiesen. Das durchschnittliche Arbeitsentgelt liegt bei knapp 60 % unterhalb des bundesweiten Einkommensdurchschnitts. Besonders irritierend ist, dass das tarifvertragliche Zeitkonto einem Drittel der Befragten zum Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 nach regulärer Anwartschaft verhilft, also zu mehr als 360 Sozialversicherungstagen in zwei Jahren. Über die Hälfte der Befragten gibt aber auch an, dass das Zeitkonto zum Überschreiten der restriktiven Befristungsgrenze und damit Verfall des Anspruchs nach verkürzter Anwartschaftszeit führte. Diese Ergebnisse zeigten Wirkung in der Podiumsrunde. Einigkeit bestand darin, dass die gesetzlichen Grundlagen geändert werden müssten. Jedoch mit teilweise sehr unterschiedlichen Ansätzen. Die Koalitionspartner Gitta Connemann und Reiner Deutschmann stellten einen möglichen Koalitionskompromiss vor, wonach die Befristungsgrenze auf 10 Wochen angehoben werden, die Verdienstgrenze jedoch unangetastet bei der halben Beitragsbemessungsgrenze (momentan 30.240 €/West) bleiben solle. Das Gesetz soll bis Ende Juli 2014 befristet sein, um dann erneut evaluiert und ggf. nachgesteuert zu werden. Ein Gesetzgebungsverfahren steht unmittelbar bevor. Die SPD-Politikerin Angelika Krüger-Leißner schlug dagegen vor: die von der rot-grünen Koalition auf zwei Jahre verkürzte Rahmenfrist wieder auf drei Jahren generell für alle Arbeitnehmerinn und Arbeitnehmer zu verlängern und mit Blick auf die besonderen Erfordernisse der Projektbeschäftigten durch eine verkürzte Anwartschaft mit 12 Wochen Befristungsgrenze zu kombinieren. Bei der Verdienstgrenze sieht auch sie keine Änderungsmöglichkeit. Brigitte Pothmer stellte dagegen das Modell der Grünen mit einer gestaffelten Anwartschaft und Leistungsdauer vor, das in einer ersten Stufe ab vier Monaten Anwartschaft innerhalb von zwei Jahren zu zwei Monate ALG 1 führen solle; ohne weitere Bedingungen. Zudem solle es für bestimmte Gruppen eine zeitweilige Vermittlungspause während des ALG 1-Bezuges geben. Film- und Fernsehschaffende sollten davon profitieren. Denn sie seien meist nach einem Projekt nicht arbeitslos im klassischen Sinne, sondern bräuchten Zeit für die Akquise des nächsten Jobs. Für die Linken sprach sich Sabine Zimmermann ebenfalls für eine dreijährige generelle Rahmenfristverlängerung und die Verbesserung der verkürzten Anwartschaft aus. Die anschließenden Diskussionsbeiträge der anwesenden Betroffenen aus der Filmbranche bestätigten die Studienergebnisse und den nötigen Handlungsdruck. Etliche Beispielen zeigten, dass die Befristungsgrenze viel zu niedrig angesetzt ist, beispielhaft bei einer Filmeditorin in einem viermonatigen Dokumentarfilm-Projekt oder einem Schauspieler in einem Tournee-Engagement, das mehr als drei Monate andauert. Beide etwas längeren Projekte hätten die Chance auf den ALG 1-Anspruch verhindert. Unterstrichen wurde auch, dass die Verdienstgrenze zu niedrig sei, keinen realistischen auskömmlichen Jahresverdienst eines Film- und Fernsehschaffenden abbilde und absurderweise dazu führe, dass man trotz steigender Beiträge an die Arbeitslosenversicherung oder vielmehr wegen steigender Beiträge einen Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 verliere. ver.di- Vertreter Matthias von Fintel forderte „Eine passende und ehrgeizige Verbesserung der verkürzten Anwartschaft ist nötig, das zeigen die Studienergebnisse und die Äußerungen der Betroffenen sehr nachdrücklich. Keinem ist geholfen, wenn in zwei Jahren wieder nicht die beabsichtigte Wirkung festgestellt werden kann. Die von der Koalition beabsichtigten zehn Wochen sind ein gutes Signal. Doch bin ich skeptisch ob dies ausreicht. Die ver.di FilmUnion tritt dafür ein und im Übrigen forderte die CDU das in 2009 auch noch, eine Befristungsgrenze von 13 Wochen passt besser zur Arbeitsweise in der Filmbranche.“ Zudem kritisierte er die „sinnfremde“ Verdienstgrenze, die vollkommen unbegründet und widersprüchlich sei.

Fotos: Christian v. Polentz/transitfoto.de



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