BFV-Vorstand kritisiert Aufstocker-Debatte und Pauschalvorwürfe der BA

(BFV-Newsletter 06/2011) Die Zahl der Selbstständigen, die ihre Einkünfte mit Hartz IV aufstocken, ist seit 2007 bis 2010 um mehr als 50.000 auf 125.000 gestiegen, womit sie immer noch eine Minderheit unter den 4,4 Mio. Selbständigen in Deutschland sind. Etwa 85.000 verfügten nur über ein Einkommen von weniger als 400 Euro. 25.000 verdienten bis zu 800 Euro, der Rest etwas mehr.
Gut ein Sechstel der selbständigen Hartz-IV-Bezieher lebt in Berlin. Die „Süddeutsche Zeitung“ und die Bundesagentur für Arbeit (BA) spekulierten daraufhin über Missbrauch bei den Leistungen. Die Leitung der Nürnberger Behörde spricht damit auch den Finanzämter ihr Misstrauen aus. Denn nur mit ordentlich geprüften Jahresbilanzen ist es für Selbständige überhaupt möglich, Leistungen zu beantragen. Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur, formuliert es dreist: "Natürlich können Selbstständige theoretisch ihr Einkommen so gestalten, dass sie in der Hilfebedürftigkeit verbleiben". Und Ilona Mirtschin, Sprecherin der Nürnberger Behörde, formuliert den Generalverdacht gegenüber der Tagesschau so: "Bei Selbstständigen ergeben sich viele Dinge, die man als Sachbearbeiter in einem Jobcenter nicht überprüfen kann. Beispielsweise das Absetzen von Betriebsausgaben. Wie wollen sie als Sachbearbeiter in einem Jobcenter überprüfen, ob die Zahlen stimmen oder nicht“? Das müssen sie auch nicht, denn dies ist Aufgabe der Finanzämter, die Einnahmen und Ausgaben von Selbständigen penibel prüfen. Vor allem sind die Behauptungen der BA-Spitze überhaupt nicht mit Tatsachen untermauert worden. Die Gewerkschaft stellt dazu fest:
„Die Realität von Selbstständigen insbesondere in der Film- und Fernsehbranche sieht indes anders aus. Häufig werden trotz geringer Einkommen keine Transferleistungen beantragt, sei es aus Schamgefühl oder weil der bürokratische Aufwand zu hoch scheint. Auch die Entscheidung zur Selbstständigkeit ist nicht immer freiwillig. Notgründungen gibt es zum Beispiel, wenn sich trotz intensiver Bemühungen keine Aussicht auf eine Festanstellung ergibt oder wenn Firmen eine Festeinstellung ablehnen und die Beauftragung Selbstständiger bevorzugen“, kritisiert der Vorstand des BFV die Pauschalvorwürfe der Bundesagentur für Arbeit.

Doch statt über die Ursachen für die Tatsache nachzudenken, dass viele Selbständige auch aus der Medienbranche zu Aufstockern werden, denken die Verantwortlichen über eine Begrenzung der Leistungen nach. BA-Vorstandsmitglied Alt hält es für nötig, darüber zu diskutieren, ob sich die Bezugsdauer von Grundsicherungsleistungen für Selbstständige zeitlich begrenzen lasse. „Irgendwann muss man schwarze Zahlen schreiben oder - so weh es tut - die Selbständigkeit aufgeben. Der Steuerzahler kann nicht auf Dauer eine nicht tragfähige Geschäftsidee mit finanzieren." Was für die Betroffenen aber bedeutet, in Hartz IV abzurutschen und den Steuerzahler noch teurer kommt. An dieser Stelle sei auch mal die Frage erlaubt, wer denn die Pleite der Hypo-Real-Estate und WestLB finanziert? Der BundesFilmVerband in ver.di kritisiert sodann auch die Debatte der BA. Selbstständige öffentlich in Misskredit zu bringen sei nicht angebracht. Die Unschuldsvermutung gelte auch für diese Personengruppe. Wer eine solche Diskussion anstoße, müsse sich auch die Mühe machen Zahlen und Fakten zu nennen. Mediafon, das Beratungsnetzwerk für Selbstständige in ver.di bezweifelt, dass es wirklich billiger werde, wenn man Selbstständigen nicht mehr Hartz-IV-Aufstockung, sondern als dann Arbeitslosen das "reine" Arbeitslosengeld II komplett bezahlen müsse.

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