Tatort: Untergrund. Ein ver.di-Panel zur Berlinale sucht nach Antworten

(Berlin, 21. Februar 2011) Der Veranstaltungsort U3 war gut gewählt: die Zwischenebene einer Bahnstation am Potsdamer Platz, unterhalb der Straße, aber noch über den Gleisen der Eisenbahn. Irgendwo zwischendrin also, nicht ganz da, aber auch noch nicht ganz weg, und irgendwie sinnbildlich für den Zustand des deutschen Films, wo keiner genau weiß, wo dessen Reise hingeht. Dieser Vergleich fiel einem ein, als man das U3 betrat, in dem sich eine gutbesetzte Diskussionsrunde über die Zukunft des deutschen Films Gedanken machte. Tarifvertrag, Arbeitsbedingungen am Set und schwindende Honorare und Budgets waren die Themen der gutbesuchten Veranstaltung, die bereits das dritte Mal während einer Berlinale stattfand. In seiner leidenschaftlichen Einführungsrede wies Dieter Böhlke vom ver.di-Filmverband die anwesenden Filmschaffenden darauf hin, "dass wir alle Filmschaffenden brauchen, denn Film ist Movie, Film ist Bewegung, und wir brauchen eine kräftige Bewegung, bei der wieder alle rennen und nicht im Untergrund verhaftet bleiben, um das tun zu können, was wir am liebsten tun: Filme machen." Alexander Thies, Produzent und Vorsitzender der Produzentenallianz führte dieses Bild weiter, denn ihm war klar, dass "dieser Ort nicht der Untergrund ist, sondern der Weg zu den Transportmitteln, und das sorgt schließlich für eine rege Kommunikation." Rege war die Veranstaltung "Alptraum Traumfabrik - Wege aus der Selbstausbeutung bei Film und Fernsehen" in der Tat. Moderator Jan Lerch von der probono Fernsehproduktion führte sie geschickt provokant, so als er Thies fragte, ob die paradiesischen Zustände in Italien auch zu einem dolce vita in Deutschland führen könnten. Zuvor hatte der international tätige Regisseur Marco Serafini, bekannt für ca. 150 Filme und Serien, die Produktionsbedingungen in Italien beschrieben. Dort sei es absolut undenkbar, Überstunden zu leisten, am Wochenende zu arbeiten, oder auch nachts zu drehen. Falls doch, müsse die Produktion vorher alle Beteiligten um ihr Einverständnis bitten. Nein, so Thies, das wäre tatsächlich kein erstrebenswerter Zustand für ihn: "Denn in Italien schreibt der Staat die Vertragsinhalte von Film- und TV-Schaffenden vor. Da sind wir hier mit unserer Vertragsautonomie doch schon viel weiter." Antoine Monot, Jr. ist zugleich Schauspieler, Produzent und Vorstandsmitglied des Schauspielerverbands BFFS. Zwar kämpft er in seinem Verband für tariflich geregelte Schauspielergagen, dennoch war er gezwungen, die Gagen seines neuen Filmes Kaiserschmarrn (D 2011) zurückzustellen. Denn zum Glück leben wir in einer Welt, in der es jedem Einzelnen möglich sei, zu entscheiden, ob er ein solches Arbeitsverhältnis mit seinem Gewissen vereinbaren könne. Der renommierten Editorin Olla Höf, die dem Bundesfilmverband in ver.di angehört, war es wichtig darauf hinzuweisen, dass zurückgestellte Gagen im Erfolgsfall gefälligst auszubezahlen seien. Auch für Karsten Aurich, Produzent und Inhaber der sabotage films, der sich u.a. mit dem Überraschungserfolg Berlin Calling (D 2008) einen Namen machte, ist Arbeit auf Rückstellung absolut überlebensnotwendig. Heute gebe es viel mehr Produzenten als noch vor 10 Jahren, und alle wollen ein Stück vom immer kleiner werdenden Kuchen abbekommen. Außerdem, fügte Thies hinzu, sei die Rückstellung von Gagen keine Ausbeutung, sondern vielmehr ein unternehmerisches Geschäftsmodell. Low Budget-Produzenten können ihre Budgets wohl kreativ gestalten, warf eine Zuhörerin ein, "aber bei öffentlich-rechtlichen Produktionen wie dem Tatort oder Stubbe- von Fall zu Fall, ist es unverschämt, dass z.B. die Kostümbildner weit unter Tarif bezahlt werden. Ausgerechnet die öff.-rechtlichen halten sich nicht an den Tarifvertrag, wo sie ihn doch selbst mitgestaltet haben." In diesem Zusammenhang wies Höf darauf hin, dass der neu ausgehandelte Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende immer öfters eingehalten würden. Dies sei auch ein Erfolg vom Filmverband in ver.di, denn die von ver.di regelmäßig unternommenen Setbesuche führen dazu, dass zumindest die tariflich geregelten Arbeitszeiten am Set nicht überschritten werden, wenn auch die ebenfalls tariflich geregelten Gagen bisher noch nicht flächendeckend bezahlt würden. Ein unzumutbarer Zustand, wie jedem im Saal klar war, der nur mit der Anstrengung eines jeden Kreativen behebbar sei, "und mit der Gewerkschaft ver.di und seinem Filmverband als Partner der Filmschaffenden und der übrigen Verbände", wie Olla Höf im Schlusswort der Veranstaltung betonte. In angeregten Gesprächen im darauffolgenden Get Together zeigten sich viele der Beteiligten, allen voran Monot, Jr. erfreut darüber, dass die Veranstaltung gezeigt habe, dass der Dialog der Kreativen über das Gerangel der einzelnen Verbände hinaus absolut möglich und nötig ist, um die Misere der Filmschaffenden nachhaltig zu verbessern. Vom Untergrund wieder ins Freie tretend wurde einem klar, dass es noch viel zu tun gibt, damit aus der Traumfabrik kein Alptraum wird, und jeder wieder die Gelegenheit bekommt, den Film zu machen, der ihm vorschwebt, und dabei alle Filmschafenden bezahlen kann und ihnen keine unmenschlichen Arbeitsbedingungen abverlangt. Allerdings, und das wurde einem auch klar, wurde durch eine Diskussionsveranstaltungen wie diese ein weiterer Schritt in die richtige Richtung getan, indem nämlich der Filmverband in ver.di das eigene Dialogangebot an alle Verbände, eben auch an solche wie die mächtige Produzentenallianz regelmäßig einlöst. Christoph Brandl Fotogalerie vom 21.01.2011: Für eine größere Ansicht klicken Sie bitte auf die Bilder. Alle Fotos © 2011 Christoph Brandl



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