Rundfunk

Rundfunkgebühr - ver.di begrüßt Vorschlag von Verfassungsrechtler Kirchhof

(BFV-Newsletter 05/2010) Deutschland scheint der Haushaltsabgabe für den Empfang der öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehprogramme einen Schritt näher gerückt.
Im Auftrag von ARD, ZDF und Deutscher Welle legte der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof ein Gutachten vor, das dieses Modell empfiehlt. Es würde die seit Jahrzehnten erhobenen Rundfunkgebühren ablösen. Die Ministerpräsidenten entscheiden am 9. Juni, ob sie Kirchhof folgen oder ein modifiziertes Modell der jetzt von der GFK erhobenen Gebühr verabschieden. Oberste Prämisse ist für sie, dass die Gebühren nicht über die jetzt pro Monat eingezogenen 17,98 Euro steigen. Gleichzeitig sollen die Etats der Anstalten nicht gekürzt werden.

"Die Ministerpräsidenten tun gut daran, das bestehende System der gerätegebundenen Rundfunkgebühr grundsätzlich zu überarbeiten. Sollten sie sich dabei für das Modell einer geräteunabhängigen Haushaltsgebühr entscheiden, so kann dies einen deutlichen Mehrwert
bringen"
, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Frank Werneke, anlässlich der Vorstellung des Gutachtens. "Mit einem neuen Gebührensystem kann dem gebührenfinanzierten Rundfunk wieder mehr Akzeptanz in der Bevölkerung verschafft werden", so Werneke weiter. Die andauernden gerichtlichen Auseinandersetzungen über die so genannte PC-Gebühr sowie die Methoden der Gebühreneinzugszentrale schadeten unnötig dem Ruf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Darüber hinaus sei das geltende Gebührenmodell anachronistisch. "In der digitalen Welt macht der Gerätebezug der Rundfunkgebühr einfach keinen Sinn mehr", sagte Werneke.

Kirchhofs Modell könnte für die Anstalten Planungssicherheit bieten, sollen doch künftig alle Haushalte zur Kasse gebeten werden - egal ob sie ein Empfangsgerät besitzen oder nicht. Dieser Gedanke hatte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit geweckt, da sie einer Steuer gleich käme. Rechtlich gesehen handelt es sich um einen Beitrag, so Kirchhof. Auch Menschen seien Nutznießer des Angebots, die sich zum Beispiel mit Arbeitskollegen über die Nachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender unterhalten. "Eine Finanzierung der allgemein zugänglichen Quelle belastet grundsätzlich jedermann im Einwirkungsbereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, weil er den Vorteil hat, nach individuellem Belieben auf diese Quelle seiner Information, Meinungsbildung, Unterhaltung und kulturellen Anregung zurückzugreifen." Ob diese Argumentation stichhaltig ist, könnte sich wohl erst in einer Prozesslawine erweisen. Kritiker dieses Modells befürchten, dass viele Menschen klagen könnten, die kein Empfangsgerät besitzen oder wie bisher nur die ermäßigte Gebühr für PCs oder Radios gezahlt haben. Das von ihnen nicht oder unter Vorbehalt gezahlte Geld fehlt den Sendern und könnte über Jahre Löcher in die Haushalte der Sender reißen. Zudem geht die Reform zu Lasten des Staats. Unausweichlich werde die Gebühr auch für Sozialhilfeempfänger, so Kirchhof. Sie waren bislang pauschal befreit. Künftig soll für sie der Staat – unklar blieb ob Bund oder Länder - die Gebühr übernehmen und die Summe mit dem Wohngeld überweisen. Bei Millionen Hartz IV-Empfängern hieße das nichts anderes, als dass pro Haushalt 215,76 jährlich fällig werden. Ein Millionen-, wenn nicht Milliardenbetrag und wohl der indirekte Einstieg in einen staatlich subventionierten Rundfunk. Diesen Einwand lässt Kirchhof nicht gelten, da die Sozialhilfeempfänger das Geld erst überwiesen bekommen.

Bei den Sendern wird erwartet, dass dieser Vorschlag angesichts der Haushaltslage keine Mehrheit finden wird. Die ARD-Anstalten planen alle mit einem Rückgang der Gebühren um 15% und haben unisono drastische Einsparungsprogramme in der Schublade. Beim rbb gehen sie so weit, nur noch von 18.00 bis 20.00 Uhr ein aktuelles Programm anzubieten und ansonsten einen Mantel mit den Produkten der anderen Dritten zu gestalten. Die staatliche Zahlung für Sozialhilfeempfänger mag in der Argumentation von Kirchhof juristisch und formal richtig sein, ein Geschmäckle bleibt. Gerade jetzt, wo nach der Causa Brender über die Staatsferne von Gremien und öffentlich-rechtlichen Sendern diskutiert wird. Und wenn man das Modell zu Ende denkt, werden alle indirekt staatlich subventioniert, die von den Sendern Geld für Senderechte erhalten. Letztlich auch die hoch bezahlten Kicker der Bundesliga. So bekäme Bayerns Präsident Uli Hoeneß letztlich doch noch seinen Soli, obwohl die Forderung von vielen für ein Aprilscherz gehalten worden war. Kirchhof betont, dass Haushalte entlastet werden, in denen bisher mehrere Zahlende leben. Gleichzeitig dürfte es zu einer Entlastung von Gewerbebetrieben wie Hotels kommen. Die Modalitäten für ihre Zahlungen würden sich vermutlich ändern. Die Daten sollen laut Kirchhof über die Einwohnermeldeämter erhoben werden, was den Vorteil hätte, dass die Privatsphäre geschont werde. Allerdings lauern auch hier Ungewissheiten. Muss auch für Zweitwohnsitze, Wochenendgrundstücke usw. gezahlt werden. Trotz der vielen Wenn und Aber war die Resonanz bei den Auftraggebern natürlich positiv: Der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust sieht in dem vorgelegten Gutachten eine gute Ent¬scheidungshilfe zur Klärung der mit diesem Reformvorhaben verbundenen komplexen Fragestellungen: "Mit dem Gutachten wird ein überzeugender, verfassungsrechtlich gangbarer Weg beschrieben. Prof. Kirchhof trägt eine logisch nachvollziehbare Grundidee vor, die alle wichtigen verfassungs- und europarechtlichen Aspekte einbezieht. Allerdings bedarf die Ausgestaltung eines zukunftsfähigen Modells an vielen Stellen noch der Konkretisierung durch den Gesetzgeber. Erst danach wird die ARD eine belastbare Einschätzung des Reformmodells vor allem auch unter finanziellen Aspekten abgeben können“. ZDF-Intendant Markus Schächter ergänzt: "Das Gutachten formuliert die verfassungs¬rechtlichen Vorgaben für eine Finanzierungsreform im Kern klar und prägnant. Es ist nun Sache der Politik, ihre Schlüsse aus der vorliegenden Expertise zu ziehen." Von ihren Justiziaren wurde sofort ein Teil des 85seitigen Gutachtens kritisiert. Kirchhof sieht die Reform auch als Einstieg in einen werbefreien öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Allerdings mit der etwas seltsam anmutenden Ausnahme für Kaufprogramme, "die nur unter den Bedingungen des Sponsorings erwerbbar sind." Werbung und Sponsoring sind danach bei Eigenproduktionen nicht erlaubt, aber etwa bei teuer gekauften Sportrechten oder Spielfilmen vertretbar, weil diese ohne zusätzliche Einnahmen nicht finanzierbar seien. Hieran stört sich natürlich reflexartig Jürgen Doetz, Präsident des VPRT, der ansonsten den vorgeschlagenen weitgehenden Werbeverzicht und das Kirchhof-Gutachten generell lobt. Ein Verzicht auf Werbung und Sponsoring, schreibt Kirchhof übrigens noch, würde die Identität der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten "in eindrucksvoller Weise hervorheben." Aus den CDU/CSU-geführten Bundesländern gibt es zudem Unterstützung für die Überlegungen, bei ARD und ZDF künftig Werbung und Sponsoring einzuschränken: Bayern, Hamburg und das Saarland plädieren in Stellungnahmen gegenüber der „Funkkorrespondenz“ dafür, den öffentlich-rechtlichen Sendern entsprechende Restriktionen aufzuerlegen. Im Grundsatz halten es die drei Länder auch für sinnvoll, die Debatte um ein komplettes oder ein Teilwerbeverbot in die Beratungen über die avisierte Neufassung des Rundfunkgebührenmodells einzubeziehen.
Viele der Argumente der Politiker sind jedoch schon lange widerlegt. So hat der Verband der werbetreibenden Wirtschaft wiederholt betont, dass die Werbeeinnahmen von ARD und ZDF nicht automatisch den privaten Sendern zu Gute kämen. Was soll Kukident-Reklame auch auf MTV oder Pro7?



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