Film & Fernsehen

Die Berlinale wird 60 Jahre und ein bisschen weise! Interview mit Dieter Kosslick

(BFV-Newsletter 01/2010) Am 6. Juni 1951 feierten die Internationalen Filmfestspiele Berlin ihre Premiere. Seit fünf Jahrzehnten gehört sie zu den drei wichtigsten Filmfestivals der Welt, wobei Berlin der einzige Ort ist, an dem das Publikum so viele Filme sehen kann. 2009 verzeichnete die Berlinale mit 275.000 verkauften Eintrittskarten und fast 500.000 Kinobesuchen in zehn Tagen einen neuen Besucherrekord. Dieter Kosslick hat die Leitung ein Jahr nach dem Umzug des Festivals vom alten Festivalstandort am Ku´damm an den Potsdamer Platz übernommen und das Angebot kräftig ausgebaut. Er kreierte die „Perspektiven Deutsches Kino“, den Talent Campus, auf dem Hunderte junge Filmemacher aus aller Welt Kontakte knüpfen können, die Kulinarische Reihe und im Vorjahr die Special Screenings, die zu einem Schaufenster des deutschen und internationalen Films wurden.

Herr Kosslick, die Berlinale feiert in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag. Seit wann sind Sie dabei?

Ich war 1984 als Geschäftsführer des Hamburger Filmbüros gekommen, um die Premiere von Detlev Bucks erstem Film „Erst die Arbeit und dann“ zu erleben. Wir waren alle mächtig stolz auf diesen Film. Detlev fuhr mit einem Traktor vor dem Bikinihaus und dem völlig überfüllten Filmtheater FK66 vor. Ich war völlig überwältigt, weil ich noch nie in meinem Leben auf einem Filmfestival war. In meiner Naivität habe ich Helmut Karrassek, damals noch Starkritiker des „Spiegel“ und seiner hochschwangeren Frau versprochen, ihnen zwei Sitzplätze zu besorgen. Das hat durch die Stadlers, die das Kino noch heute führen, auch geklappt. Den Rest des Festivals haben wir dann im „Florians“ in der Grollmannstraße verbracht, wo damals alle gelandet sind.

Nicht mal 20 Jahre später waren Sie dann nicht ganz unerwartet in der Branche selbst Chef der Berlinale?

Das Gerücht entstand ein Jahr vor der Anfrage von Kulturstaatsminister Michael Naumann nach einer Kolumne in einer Berliner Tageszeitung, in der ich zum Thema „Meine Berlinale“ irgendwas politisch Korrektes geschrieben habe: Bunt wie der Viktualienmarkt, elegant wie Hamburg, sympathisch wie NRW. Jahre zuvor war ich schon mal inoffiziell von Vertretern der Filmwirtschaft gefragt worden. Aber da dachte ich noch, das ist ein Job, den ich nie in meinem Leben machen würde.

Was hat Sie umgestimmt?

Die Anfrage versprach nochmals eine neue Herausforderung. Ich war ein bisschen ermüdet, über Filmfinanzierung kann ich heute noch im Schlaf ein Panel halten. Ich habe dann trotzdem gezögert, denn wir hatten gerade eine Superwohnung in Köln bezogen und das kalte Berlin bot vor neun Jahren lange nicht so viel Spaß wie heute. Michael Naumann hat mich dann mit dem Heine-Zitat umgestimmt, es sei manchmal gut den Schreibtisch zu wechseln. Als ich ihn dann gewechselt hatte, war er nicht mehr im Amt.

Ist die Berlinale denn jetzt so geworden, wie Sie es sich erträumt hatten?

Die Kolumne war eher humoristisch gemeint, aber man kann sie durchaus ernst nehmen. In der Rückschau auf 60 Jahre wird man sehen, sie hatte immer was vom Viktualienmarkt und war immer elegant. Das sind nicht alles Neuerfindungen des vierten Direktors. Aber sie ist dahin gewachsen, wohin ich sie ausdehnen wollte: Im Nachwuchsbereich und auf der wirtschaftlichen Seite, dem Filmmarkt. Mit allen Sorgen, die wir in diesem Jahr dort durch die Wirtschaftskrise und die Konkurrenz von den Film-Märkten anderer Festivals hatten, die die Händler mit kostenlosen Flügen und Hotels weglocken wollten, werden wir auch in diesem Jahr mit einem glänzenden Ergebnis dastehen. Der Markt ist wieder ausgebucht. Von daher ist die Berlinale schon so geworden, wie ich das witzigerweise mal skizziert hatte.

Vor allem hat die deutsche Filmszene ihre jahrzehntelang gepflegten Animositäten gegenüber der Berlinale abgelehnt und ist in Scharen gekommen. Mittlerweile sind Fatih Akin oder Andreas Dresen Stammgäste auf anderen A-Festivals. Erfüllt Sie das auch ein wenig mit Wehmut?

Ich habe mal scherzhaft zu Thiery Frémaux, dem Chef der Filmfestspiele von Cannes gesagt, ich treibe das mit den deutschen Filmen so lange, bis du mir alle wegschnappst. Diesem Klassenziel bin ich näher gekommen. Nach 20 Jahren in der deutschen Filmszene wusste ich natürlich um das hiesige Potential. Durch die Präsentation im Wettbewerb ist die internationale Szene auf Fatih Akin, Tom Tykwer, Andreas Dresen, Wolfgang Becker und viele andere aufmerksam geworden. Überzeugt haben aber ihre Filme, wir haben nur Starthilfe gegeben. Manchmal passiert auch etwas ganz Besonderes wie vor zwei Jahren bei der Uraufführung von Doris Dörries „Hanami – Kirschblüten“. Der Film löste ungeheure Emotionen aus. Ich hoffe, dass wir so etwas in diesem Jahr wiederholen können.

Doris Dörries „Die Friseuse“ läuft ebenso wie Matti Geschonneks Adpation des Bestsellers „Boxhagener Platz“ in der 2009 neu eingeführten Reihe der Special Screenings in Friedrichstadt-Palast, die sich sicher bewährt hat?

Wer spüren will, dass die Berlinale ein Publikumsfestival ist, sollte in den Friedrichstadt-Palast gehen, der von der ersten bis zur letzten Vorführung ausverkauft ist. Dort entsteht in kürzester Zeit durch diesen atriumhaften Bau eine ungeheuer stimmungsvolle Atmosphäre. Natürlich werden wir ihn weiter bespielen.

Andererseits hat man den Eindruck, dass Ihnen die neuen, mit viel Geld von ihren Regierungen ausgestatteten Festivals den einen oder anderen Titel vor der Nase wegschnappen?

Mit 60 sieht man die Dinge sicher etwas gelassener. Die Berlinale musste mehr als andere Festivals viele Stürme überstehen und war stark genug sie zu überleben. Auch jetzt habe ich nicht das Gefühl, dass wir die Konkurrenz nicht aushalten könnten. Ein Wermutstropfen bleibt aber. Wenn jedes Festival in den umliegenden Monaten uns nur einen guten Film eines bekannten Regisseurs wegnimmt, kann dies das Programm schon beeinflussen. Trotzdem sieht es gar nicht so schlecht aus. In diesem Jahr wird man sehen können, dass das Independent-Kino weltweit wieder sehr stark geworden ist. Es gibt viele Neuentdeckungen. Von daher bin ich nicht so pessimistisch wie vor drei Jahren.

Trotzdem – hat die Berlinale an Attraktivität verloren?

Vor 20 Jahren war es selbstverständlich, dass der Produzent eines Films, der im Oktober fertig war, bis zur Berlinale gewartet hat. Das gibt es heute nur noch in Ausnahmefällen wie jetzt bei Benjamin Heisenbergs „Der Räuber“ (der sich wegen der Geburt seines zweiten Kindes gegen Venedig entschied, d.A.) oder dem Panoramafilm „Die Fremde“. Die Marktbedingungen haben sich grundlegend verändert. Viele Filme sind Kreditfinanziert und müssen schnell ins Kino. Produzenten haben Angst vor der Internet-Piraterie. Und es ist auch ein Investment, auf so einem Festival eine große Öffentlichkeit herzustellen. Für diese Situation habe ich Verständnis. Der Verlust mancher Titel bereits bekannter Regisseure wird heute aber kompensiert durch die Entdeckung neuer Talente und derer Filme. Filme, die zum Teil über unsere eigenen Gründungen, den Co-Production Market, den World Cinema Fund und den Talent Campus . entstehen konnten. Dazu gehört auch der Gewinner des Goldenen Bären 2009, „Eine Perle Ewigkeit“. . In diesem Jahr sind zwei Filme dabei, die auf dem Co-Production Market vorgestellt wurden: Die iranisch-deutsche Koproduktion „The Hunter“ von Rafi Pitts im Wettbewerb und Esmir Filhos Spielfilmdebüt „The Famous and The Dead „ in der Reihe Generation 14plus.

Ärgert es Sie, wenn Berlinale-Gewinner wie „Tropa de Elite“ in Deutschland erst verspätet, andere wie „Blooday Sunday“ gar nicht regulär ins Kino kommen?

Ja. Aber da bin ich bei Tom Tykwer und dem Pink Panther. Auch ich kann die Welt nicht überall retten. Natürlich würde man sich freuen, wenn alle Filme, die ausgezeichnet werden, großen Erfolg im Kino haben. Eine Kausalität kann man leider nicht herstellen. Ein guter Festivaldirektor möchte allen Filmen einen Preis geben und sie dann ins Kino bringen. Aber leider habe ich keine Wunderkräfte.

Im Moment ziehen vor allem 3-D-Filme. Könnten Sie die im Berlinale-Palast spielen?

Wenn wir wollten ja. Uns sind aber nicht besonders viele Filme angeboten worden, doch einige werden wir im Zoo-Palast zeigen. Ansonsten läuft dieses Geschäft vornehmlich im Markt.

Wird 3-D das Kino retten, wie sich das viele erhoffen?

„Avatar“ und die anderen Filme sind eine Innovation, die das Kino für viele Leute wieder attraktiv gemacht haben. Das ist eine Neuigkeit, eine Sensation, so wie es das Kino immer bot. Und die Entwicklung wird weiter gehen. Ich habe mich aber mit diesem Aspekt weniger beschäftigt. Mich hat immer eher das Gebäude interessiert, in dem das Kino stattfindet. Wie es aussieht und was es sozial und wirtschaftlich für ein Dorf, einen Kiez oder eine Stadt bedeuten kann.

Wozu Sie sich immer eingemischt haben, zum Beispiel durch die Proteste gegen die Schließungen von Kinos am Ku´damm?

Jetzt ist der Ku’damm wieder reanimiert und es geht Gott sei Dank durch Investition in Technik und Komfort wieder los. Beim 60. Jubiläum werden wir auch über die Veränderungen der Kinolandschaft und die Bedeutung von Kino diskutieren, Mit „Berlinale goes Kiez“, bei dem zehn Berliner Kinos in den Bezirken Berlinale-Filme spielen, sowie der Vorführung von „Metropolis“ und der künstlerischen Installation eines Kinovorhangs am Brandenburger Tor wollen wir das Kino bei der Berlinale thematisieren.

Können Sie in den Kiez-Kinos schon digital projizieren?

In die Kieze bringen wir vorwiegend Kopien. Das hängt mit der Ausstattung der Kinos zusammen. Wenn wir dort digital abspielen und projizieren können, bedeutet dies eine rosige Zukunft. Trotzdem kann ich mir noch nicht richtig vorstellen, dass wir keine Filmrollen mehr haben. Aber das ist vielleicht auch romantisch.

Kiez-Kino, Installation – ihr Etat steigt weiter. Haben Sie auf das Angebot von BKM und Kulturausschuss des Bundestages zurückgegriffen, Ihnen finanziell unter die Arme zu greifen?

Ich habe gesagt, wir versuchen den möglichen Ausfall von Sponsoren zu kompensieren. Das war eben nicht sicher und wir sind eine zeitlang mit angezogener Handbremse gefahren. Aber die Politiker hatten mein Wort und ich hatte ihr Wort. Das hat mir Sicherheit gegeben, dass wir nicht in ein Loch fallen würden. Unser Budget beträgt 18 Mio. Euro, 6,5 Mio. Euro bekommen wir vom BKM. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat zudem das Engagement auf den Talent Campus ausgeweitet. Als Vorsitzender des Stiftungsrats der Kulturstiftung des Bundes hat er auch befürwortet, dass der World Cinema Fund weitere zwei Jahre gefördert wird. Und wir haben Unterstützung von Berlin, vom Hauptstadtkulturfonds für die Installation eines riesigen Kinovorhangs am Brandenburger Tor anlässlich unseres Jubiläums erhalten. Das sind schöne Geburtstagsaktionen für das Kino und das Publikum.

Die Eintrittspreise bleiben stabil?

Wir werden nicht das Supergeburtstagsgeschenk machen, die Karten zu verteuern. Das würde der Philosophie des Festivals widersprechen, zum einen etwas für die Filme zu tun, auf der anderen Seite aber den Zuschauern Lust auf Kino zu machen. Um die Preisstabilität zu ermöglichen, werden wir unsere eigenen Aktivitäten verstärken. Vielleicht laufen unsere T-Shirts in diesem Jahr besonders gut. Sie sind übrigens– ebenso wie die anderen Merchandising-Artikel – unter der Beachtung ökologischer und sozialer Gesichtspunkte produziert worden.

Ihr Vertrag läuft bis 2013. Welche Vision haben Sie für Ihr Festival?

Für mich gibt es keine Filme ohne Kinos, daher wollen wir auch zum Jubiläum nicht nur in die Vergangenheit schauen, sondern in die Zukunft. Wie werden sich Kinoarchitektur und Technik weiter entwickeln? Wir sehen das ja in Berlin, wo Herr Flebbe (ehemals Cinemaxx, d.A.) jetzt auf das Kino für gehobene Ansprüche setzt. Er hat ja viel Erfahrung mit Multiplexen. Der Film braucht die pralle Leinwand und ich kann mir nicht vorstellen, dass unser Eröffnungsfilm nicht vor 2200 Zuschauern, sondern auf 22 Mio. Flachbildschirmen seine Premiere feiert.

Haben Sie die vergangenen Jahre verändert?

Ja, der Druck hat mich verändert. Wie soll ich das sagen, ohne dass man mich falsch versteht? Die Arbeit hat mich noch mal etwas schlauer gemacht. Vertrauen ist wichtig in der Branche. Damit lässt sich viel regeln. Und meine Beziehungen zur nationalen und internationalen Filmindustrie sind gut. Und wenn es mal passiert ist, dass ein Verhältnis schwierig geworden ist, muss nach der Berlinale ein Schlussstrich gezogen werden. Sonst hat es keinen Sinn.


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