Film & Fernsehen

„Vorleser“ Deutsches Kulturgut? – Kritik an Akademiebedingungen

Der deutsche Film boomt wie lange nicht. Auf 30% und mehr stieg der Marktanteil der Filme made in Germany in diesem Jahr an der Kinokasse. Was allen ein Lachen aufs Gesicht zaubert. Kinos, Produzenten, Kreativen und der Politik. Film-Minister Bernd Neumann freute sich nicht zuletzt bei der Verleihung der Deutschen Filmpreise im April über die Akzeptanz des einheimischen Kinos. Doch ausgerechnet bei den Auszeichnungen mit den Lolas wird auch 2010 ein Großteil jener Titel fehlen, die für klingende Kassen sorgen.

Was zum einen der Abneigung - nicht nur deutscher Juroren - gegen das Lachen geschuldet ist. Komödien haben es bei ihnen schwer,. egal ob bei Oscar, Cesar oder Lola. Das Publikum wollte in diesem Jahr im dunklen Kino jedoch vor allem seine Sorgen vergessen. Es schlämmerte mit Hape Kerkeling, ging auf die Suche nach herzzereißenden Jungfrauen mit den anderthalb Rittern von Til Schweiger oder amüsiert sich bei dessen Küken mit zwei Ohren, setzte auf Comedian Mario Barth oder wollte spannende Abenteuer mit Wickies starken Männern erleben. Bis auf Letzteren wohl keine Titel mit ernsthaften Lola-Aussichten.

Schweiger wird seinen Film nicht melden. Weitere deutsche Hits sind auch nicht unter den Titeln sein, die bis zum 30. Oktober bei der Filmakademie eingereicht werden mussten und von den Bernd Neumanns auf Herz und Nieren geprüft werden, ob die Anmeldungen regelkonform sind. Sprich deutsch genug sind.

Einigen angemeldeten Filmen ist bereits die Rote Karte gezeigt worden, die Produzenten sind in Berufung gegangen. Wieder einmal wird um Koproduktionen gestritten, für die die Akademie ihre eigenen Bewertungsmaßstäbe gefunden hat. Sie schließen einen Teil der Filme aus, die an der Kinokasse als deutsch gelten. Damit sie bei der Filmpreis-Gala sicher draußen bleiben müssen, hat die Filmakademie ihre Regularien im August nochmals verschärft.

Bislang galt, Regisseur oder Produzent müssen Deutscher sein und es muss in deutscher Sprache gedreht worden sein – wenn zwei der drei Kriterien erfüllt waren, konnte der Film eingereicht werden. Zum Präzidenzfall wurde Paul Verhoevens „Black Book“. Ein holländischer Regisseur und der Berliner Jens Meurer als Produzenten standen hinter dem Drama um den holländischen Widerstand gegen Hitler, das in beiden Sprachen gedreht wurde. Carice van Houten wurde schließlich für die Lola nominiert.
Sie hat jetzt keine Chance mehr. Nach den neuen Richtlinien müssen drei Kriterien erfüllt sein. Der Regisseur muss Deutscher sein oder es ist in Deutsch gedreht worden. Dazu muss der Produzent einen deutschen Pass haben und kein Partner aus dem Ausland darf finanziell mehr für das Entstehen des Films beigetragen haben als die deutsche Firma.

Dieses Regelwerk ist maßbeschneidert für europäische Koproduktionen deutscher Regisseure wie Hans-Christian Schmids „Sturm“, Sherry Horrmans „Wüstenblume“, Sönke Wortmanns „Päpstin“, Sandra Nettelbecks „Helen“, Detlev Bucks „Same, same, but different“ oder Michael Hanekes „Das weiße Band“. Tom Tykwers Thriller „The International“ ist dagegen ein Opfer der neuen Regel. Er wäre im Vorjahr noch qualifiziert gewesen, in diesem Jahr ist er raus. Ebenso wie seine Regie-Kollegen aus aller Welt, die in den vergangenen Monaten zwischen Nordsee und Görlitz drehten. Weder Polanski, dessen „Ghostwriter“ wohl zur Berlinale als in Deutschland entstandener Film gefeiert wird, noch Stephen Frears, Steven Daldry, Paul Schrader oder Bryan Singer – keiner hat in Deutsch gedreht. Auch nicht Michael Hoffman, dessen Tolstoi Biopic „Ein russischer Sommer“ weltweit als deutscher Film Preise gewinnt. 90% des Budgets brachte Jens Meurer in Deutschland zusammen. Er ist deshalb sauer. „Die Filmakademie vergibt nicht ihre privaten Einkünfte, sondern Steuermittel.

Wie kann dann eine private Institution beschließen, nach Gutdünken Filme mit deutschem Ursprungszeugnis einfach nicht zuzulassen,“ fragt sich nicht nur er: „Es geht ja nicht darum, dass Filme wie „Ein russischer Sommer“ unbedingt Preise kriegen müssten, oder würden - kein mündiges Mitglied der Akademie ist ja gezwungen, dafür zu stimmen. Aber vor was haben sie Angst?“

Der Produzent denkt mit seinem Einwand an die deutschen Mitarbeiter, die um ihre Nominierungschance gebracht werden. Allen voran Sebastian Edschmid, der für „Ein russischer Sommer“ oder „Ein Leben für ein Leben“ hinter der Kamera stand. Auch Joachim Król hat wohl keine Chance, für seine fulminante Leistung als Holocaust-Überlebender in Paul Schraders Drama „Ein Leben für ein Leben“ eine Nominierung zu erhalten. Produzent Werner Wirsing, der nicht nur der kreative Kopf hinter dem Drama war, sondern auch drei Mio. aus seiner eigenen Tasche in das Budget steckte, ist empört über den möglichen Ausschluss seines Dramas zu den Folgen des Holocaust.

David Kross, gerade für den Europäischen Filmpreis in „Der Vorleser“ nominiert, müsste nach den Regeln der Filmakademie draußen bleiben. Christoph Fisser und Carl Woebcken vom Studio Babelsberg haben die oscarprämierte Bestseller-Verfilmung trotzdem für die Lolas angemeldet und gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch eingelegt. „Überall auf der Welt wird das Werk als deutscher Film gefeiert, auch beim Europäischen Filmpreis ist es so eingestuft worden. Kate Winslett hat ihren Oscar dem Standort Deutschland gewidmet, wo sie sich so wohl gefühlt hat. Es wäre schade, wenn das Drama sich ausgerechnet hier, wo es gedreht worden ist, nicht für die Filmpreise qualifizieren könnte,“ denkt Fisser, der auch darauf verweist, dass das Studio seine Preisgelder stets in deutsche Filme investiert hat.

Aber warum wurde dieser Film erst jetzt und nicht schon für den Jahrgang 2009 benannt? Wie Til Schweiger mit seinen „Keinohrhasen“ verweist Fisser auf die Akademieforderung, jedem Mitglied eine DVD zur Sichtung zu stellen. „Das widerspricht im Zeitalter der Piraterie jeder ökonomischen Vernunft, vor der Weltpremiere den Film so zu verschicken“, gibt er zu bedenken. Daher ist auch Polanskis „Ghostwriter“ noch nicht dabei. Er hat im kommenden Jahr seine Chance.

Für die Zuschauer ist dieses ganze Prozedere und Gerangel kaum noch zu durchschauen. Er fragt sich nur, warum ein Film mal deutsch, mal nicht deutsch ist. Und warum es John Goodman und David Wenham in der „Päpstin“ ebenso wie Schauspielerinnen aus Thailand oder Äthiopien auf die Nominierungsliste schaffen können, Christoph Waltz in „Inglorious Basterds“ aber nicht. Für ihn wetten die Babelsberger auf eine Oscar-Nominierung. In Los Angeles wird sich dann vielleicht auch Bernd Neumann wieder unter die Gratulanten mischen. Im intimen Kreis der der deutschen Filmbranche freute er sich im März ja auch mit Kate Winslett über deren Gewinn. Was er wohl vergessen hat.

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